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Im digitalen Käfig. Hier kennt sich keiner mehr aus, hier sitzen sie fest – auch Ilse Ritter (links).

© Imago/Drama-Berlin.de

Falk Richters „Never Forever“ an der Schaubühne: Big Data macht uns platt

In Falk Richters jüngster Schaubühnen-Produktion "Never forever" bringt er die Welt der Kamikaze-Kommunikation auf die Bühne und zeigt einsame Menschen und das digitale Elend.

Warum rufst du nicht an? Was willst du von mir, um diese Zeit? Menschen hocken in unsichtbaren Käfigen. Kommunizieren wild Tag und Nacht, ohne miteinander zu sprechen. „Sie leben mit einer virtuell unendlichen Anzahl von Möglichkeiten, in der jedes Sich-Einlassen, jede Verbindlichkeit nur Stillstand und Rückschritt bedeuten“, wie es in den Notizen zu Falk Richters jüngster Schaubühnen-Produktion „Never Forever“ heißt. Es ist, wie oft bei Richter, ein Hybrid aus Tanzsequenzen, Monologen, knappen Begegnungen, melancholischen Tableaus.

Wir verlieren, so sieht es hier aus, die Fähigkeit zu reden, zu hören, zu lieben, uns selbst und einander auszuhalten, uns zu binden – das ist kein neuer Befund. Dass Big Data unsere sozialen, sexuellen Instinkte plattmacht. Wenn es stimmt: Wie zeigt sich das auf der Bühne? Lässt sich abstrakter Verlust überhaupt mit Theatermitteln darstellen? Und wozu?

Die Welt der Kamikaze-Kommunikation

Falk Richters Texte können scharf sein in der Detailbeobachtung, auch der Regisseur Richter ist nicht ohne Witz. Er hat Schauspieler, die umzugehen wissen mit diesen knapp umrissenen Typen in der Welt der Kamikaze-Kommunikation. Regine Zimmermann als Therapeutin, die vom Irrsinn einer Patientin übernommen wird; Kay Bartholomäus Schulze als Uni-Professor, der nicht mehr vor Studenten, sondern in einem Hörsaal voller Smartphone-User doziert.

Und Ilse Ritter! Sie kommt aus einer ganz anderen Zeit, spielt sich selbst, wunderbar zart, aber auch klar und bestimmt, hart gegenüber der eigenen Tochter, versunken in Erinnerungen an Liebhaber, Rollen, vergangenen Theaterglanz. Es ist schön und tröstlich, dass Falk Richter sie dazuholt – die Heldin so vieler Inszenierungen von Zadek, Peymann, Bondy, Stein, im Ensemble der Schaubühne war sie fest von 1973 bis 1977. „Systemfehler“, schimpft sie, ihr Computer meldet permanent „Systemfehler“. Sie spricht mit der Grazie eines 70-jährigen, allerliebst verwirrten Gretchens am Cyber-Spinnrad: „Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer ...“.

Digitale Walpurgisnacht

Faust und Mephisto kommen nicht mehr vor. Aber vielleicht ist das unfrohe Treiben in diesen offenen Gehäusen (Bühne: Katrin Hoffmann) eine digitale Walpurgisnacht. Dazu passen die dunkel wummernden, suggestiven Klänge (Musik: Malte Beckenbach) und natürlich die Tänzer von Total Brutal, der Truppe des israelischen Choreografen Nir de Volff. Konvulsionen, Panikattacken, Selbstbefreiungsübungen am Boden: Die Tänzer führen ihr eigenes Bühnenleben, verstärken oder illustrieren auch nur die Auftritte der Sprecher, die seltsam altmodisch an Mikrofonen kleben.

Düster-narzisstisch die Grundstimmung – da entwickelt sich nichts. Knapp zwei Stunden Zustandsbeschreibung einer Welt, einer Szene, in der man nicht leben möchte. Gibt es wirklich keine Alternative zu dieser dick ausgemalten Online-Isolation? Der Abend, was immer ihm fehlt und wovon er viel zu viel hat, steht in einer Tradition. Eine unkomische Großstadtkomödie. Würde Botho Strauß heute noch Stücke schreiben, dann so fragmentarisch wie Falk Richter. Der Untoten-Tanz hat sich bei Strauß lange angekündigt, die eitlen Zombies im „Park“, die einsamen Frauen, die lächerlichen Männer. Ruf nicht an!

Wieder am heutigen 11.September, 12. September und 22. bis 24. Oktober

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