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Kultur: Familie, vierfach

Tisch, Stühle, Hocker, ein weißes Tuch - dazu fehlt nur noch die Familie.Das Berliner Orphtheater läßt sie gleich vierfach herbeischaffen - von August Stramm, Peter Weiss, Werner Schwab und Georg Seidel.

Tisch, Stühle, Hocker, ein weißes Tuch - dazu fehlt nur noch die Familie.Das Berliner Orphtheater läßt sie gleich vierfach herbeischaffen - von August Stramm, Peter Weiss, Werner Schwab und Georg Seidel.Gemütlichkeit tritt zutage, hinter der die Hölle grinst.Vater, Mutter, Kinder, Hund produzieren den gemeinen, wütenden Alltag des Terrors.Schwerter blinken, Ängste brechen sich Bahn, Beschimpfungen zerfetzen alle menschlichen Bindungen.Und schließlich dann ist die Erde eine Scheibe, die sich unablässig dreht."Mit uns drauf! Mit uns drauf!" Vier Geschichten werden als eine gespielt, angesiedelt auf der flachen Scheibe, drapiert mit dem wieder und wieder ver- und enthüllenden weißen Tuch (Bühne: Hans Hugo Ellerfeld).

Bei August Stramm, in "Rudimentär", endet eine schwarz-weiß arrangierte eheliche Schreckensliebe im puppenhaften Kindertod.Knallbunt und in knalligem Vers zeigt Peter Weiss in "Nacht mit Gästen" das Marionettenspiel bürgerlicher Abendbrotseligkeit - der Vater geht, der scheinbar nur blutdürstige Gast Kaspar Rosenrot bleibt und übernimmt die Familie.Werner Schwab zieht in "Mein Hundemund" alle Register seiner ungehemmt wüsten Wortkunst, um das Mannstier zu beschimpfen, die gewaltige, sinnliche, versoffene Kreatur inmitten flüchtiger Familienschranzen.Und Georg Seidel, in einer Szene aus "Zettels Traum", treibt Frauen und Männer aus unsicherer Existenz in die "Drahtstacheln" hinunter - ein Trick des lieben Gottes.

Vier Versuche, das Theater herausfordern.Figuren müssen aus dem Augenblick heraus klar und kräftig leben.Die Geschichten mit ihren schnellen Umschlägen brauchen Bewegung, körperliche Artistik, und auch ein Innehalten, im Trotz, in der Betroffenheit, der Trauer.Die sechsköpfige Truppe des Orphtheaters schafft im Theater am Halleschen Ufer diese Wildheit und diese Disziplin, genußvollen Radau und erschrockene Stille.Die Spieler bauen große Bilder, sie schlüpfen in die eigenwillige, völlig unterschiedliche Atmosphäre der Texte mit Genuß, ändern ihre Erscheinung verblüffend durch den gleitenden Wechsel der einfallsreichen Kostümierung (Susanne Plied).Ralph Book ist bei diesen Wandlungen der "große Hund", der Anführer und geheime Spielmeister, dann auch das stampfende Mannsungeheuer - ein wichtiger Gewinn für die Orph-Truppe um Matthias Horn, Uwe Schmieder und Antje Görner.Regie führte Susanne Truckenbrodt.Sie gibt ihren Spielern Raum, entfesselt und bändigt deren Temperament, setzt auf Vitalität.Jens Daniel Dorsch treibt die Bewegungslust des Ensembles mit seiner rhythmisch durchpulsten Musik rücksichtslos an - das Orphtheater vom Prenzlauer Berg hat die Bewährungsprobe dieses ersten entschlossenen Ausflugs auf eine große Bühne gut bestanden.

Noch heute und am 24.Mai, 21 Uhr.

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