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Kultur: Farben der Vergangenheit

Standbein, Spielbein: Eine etwas andere DDR-Kunst ist ab heute in der kleinen Ausstellung „Zügellos“ in der Berliner Galerie Barthel + Tetzner zu sehen

Knapp 14 Jahre nach dem Fall der Mauer scheint die Kunst der DDR gerade erst im deutschen Kollektivbewusstsein anzukommen. Als wäre in der Neuen Nationalgalerie ein unbekannter Kontinent zu durchmessen, herrscht seit Ende Juli drangvolle Entdeckerfreude auf die „Kunst in der DDR“ (Tagesspiegel vom 25. Juli).

Die Kuratoren Eugen Blume und Roland März haben die Lektion aus dem deutsch-deutschen Bilderstreit, der mit der Frage „Was bleibt?“ nach 1989 den Kunstbetrieb erschütterte, gelernt. Noch nie ist DDR-Kunst so umfassend, so differenziert, so anregend präsentiert worden. Doch gemessen am retrospektiven Anspruch hat die Ausstellung für manchen ihr Ziel verfehlt. Zu brav auf die „Berliner Schule“ und das auratische Einzelwerk fixiert, zeigt die Schau selbst jenseits des verrätselten Reformrealismus Leipziger Provenienz über weite Strecken genau das, was die vier, fünf großen Kunstmuseen der DDR bis 1990 sammeln wollten und durften.

Der Berliner Galerist Gunar Barthel, der bis zu seiner Entlassung und Ausreise 1987 Leiter der Chemnitzer Galerie „oben“ gewesen ist, bemängelt nun in einem offenen Brief an die Kuratoren den „fatal einseitigen Eindruck, Kunst in der DDR bestünde nur aus wohl variierten rechteckigen, lediglich unterschiedlich großen (Bild-)Formationen und figurativer Plastik“. Barthel vermisst Arbeiten von Künstlern, die sich dem traditionellen Werkbegriff entzogen und damit oft auch einen politischen Gegenentwurf zum kastrierten Hofkünstlerstatus in der DDR formuliert haben.

Dass auch diese DDR-Kunstgeschichte erzählbar ist, zeigt die Galerie Barthel + Tetzner mit ihrer Ausstellung „Zügellos“. Sie bietet 18 teils singuläre, teils charakteristische Positionen einer „anderen Kunst in der DDR“. Fast alle Arbeiten sind vor 1990 entstanden. Neben dem gerade mit dem Hans-Theo-Richter-Preis der Sächsischen Akademie der Künste ausgezeichneten Multiaktivisten Thomas Ranft, der in der Nationalgalerie völlig fehlt, finden sich Altmeister, etwa der Konstruktivist Hermann Glöckner, oder Einzelgänger wie Gerhard Altenbourg, Karl-Heinz Adler und Max Uhlig. Von den Letztgenannten finden sich auch Arbeiten in der Ausstellung der Nationalgalerie – einige von ihnen als Leihgabe des Galeristen. Doch Barthel kritisiert ihre inhaltliche Zuordnung: Dass man Claus und Uhlig auf den Status des Zeichners festgelegt hat, werde ihnen nicht gerecht. In diesem Punkt versucht Barthel im kleinen Rahmen die Korrektur.

Etwa mit der Präsentation eines Holzkoffers, der Essenzen der Aktivitäten der Künstlergruppe „Clara Mosch“ enthält. 1977 hatten Thomas Ranft, Carlfriedrich Claus, Michael Morgner sowie Dagmar Ranft-Schinke und Gregor-Torsten Schade die Produzentengalerie „Clara Mosch“ gegründet. Das legendäre Fantasieweib war aus den Anfangssilben ihrer Namen entstanden; Funktionären gegenüber beharrte man jedoch auf dem Vorbild einer Arbeiteraktivistin. Das Köfferchen „Leussow-Recycling“ (9500 Euro) entstand als Dokumentation einer der ersten Landart-Performances der DDR. Nahe des mecklenburgischen Dörfchens Leussow hatten die „Moschisten“ 1977 eigene Installationen verbrannt. Die gemeinsam mit Klaus Werners Ost-Berliner Galerie „Arkade“ herausgegebene Edition enthält auch Reagenzgläser mit der Asche ihrer Kreativität.

Intellektueller Kopf bei „Clara Mosch“ war der 1998 gestorbene Carlfriedrich Claus. Seit den Fünfzigerjahren beschäftigte sich Claus mit lautmalerischen Experimenten und Konkreter Poesie – auf höchstem Niveau, wie seine Kontakte zu Franz Mon oder Raoul Haussmann zeigen. Seit 1960 visualisierte Claus philosophische Texte in „Sprachblättern“, transparenten Schriftobjekten, die mehr Teil eines Kommunikationsprozesses als grafische Artefakte sind. Barthel kann mit „Allegorie: Zweifel“ von 1962 ein seltenes Basisblatt vorweisen. Der Preis für das musealen Interessenten vorbehaltene Kleinformat, dessen auf Acrylglas gedruckte Version als Leihgabe Barthels in der Nationalgalerie hängt, liegt im fünfstelligen Eurobereich.

Auch die um 1940 geborenen Künstler wie Michael Morgner bewegten sich schon früh zwischen aktionistischen Spielformen und bildnerischer Tiefenbohrung. In Leitfiguren wie dem „Schreitenden“ fahndet er nach verdichteten Metaphern. Ausgewaschene Tuschemalereien, als Lavagen bezeichnet (je 2300 Euro), fügt er zu bildhaften Collagen: existenzielles Leiden jenseits von erzählerischem Betroffenheitskitsch.

Einen weiteren Schritt zu Crossover, Action-Painting und Happenings unternahmen die Künstlerfreunde um den Leipziger Klaus Hähner-Springmühl. Seine Foto-Bild-Montagen meldeten um 1980 den endgültigen Abschied vom Werkbegriff (je 2800 Euro). Auch der Fotograf Thomas Florschuetz agierte in diesem Kreis. Neben mehrteiligen Körper-Sequenz-Fotografien (je 4800 Euro) zeigt Barthel sein präzises kleines Porträt Hähner-Springmühls, das mit freundlichen 900 Euro ausgepreist ist.

Eine Kunstgeschichte, so resümierte Matthias Flügge 1998 die Lage der Ost-Kunst, „die die deutsche Kunst der Nachkriegszeit an den Werken und den untergründigen Verbindungslinien nach West- und Osteuropa untersucht, ist noch nicht geschrieben“. Die kleine Rückschau bei Barthel + Tetzner liefert dazu Anschauungsmaterial. Sicher auch einen Paradigmenwechsel. Aus dem „Bürgerkrieg der Künstler“, den Eberhard Roters vor einem Jahrzehnt konstatierte, ist nun die Friedensarbeit der Galeristen geworden.

Galerie Barthel + Tetzner, Fasanenstraße 15, bis 8. November; Dienstag bis Freitag 12–19 Uhr, Sonnabend 11–15 Uhr.

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