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Berserker, Bürgerschreck, Enfant terrible des deutschen Films: und immer mit Lederjacke und Zigarette. Eins der ikonischen Bilder von Rainer Werner Fassbinder.

© Peter Gauhe

"Fassbinder Jetzt" im Martin-Gropius-Bau: Wo bloß die Äpfel leuchten

Rainer Werner Fassbinder war Berserker, Bürgerschreck und Enfant terrible des deutschen Films. Heute würde der Filmemacher seinen 70 Geburtstag feiern. Der Martin-Gropius-Bau tut das mit der großartigen Ausstellung "Fassbinder Jetzt".

Mein Lieblingsfilm von Rainer Werner Fassbinder ist „Händler der vier Jahreszeiten“. Fassbinder hat ihn 1972 gedreht, als er gerade die Melodramen von Douglas Sirk entdeckt hatte, „die zärtlichsten Filme, die ich kenne“. Es ist ein Film über einen Weg nach unten, einen Aufstieg im Wirtschaftswunderdeutschland, der zum Abstieg wird. Der von Hans Hirschmüller gespielte Held verkauft auf einem Karren Obst in Hinterhöfen, so erfolgreich, dass er bald einen Angestellten engagieren und von einem eigenen Delikatessenladen träumen kann. Aber er trinkt sich lieber zu Tode. Denn seine Frau liebt ihn nicht, sie erniedrigt und betrügt ihn. Vorgeführt wird eine graue und trostlose, klaustrophobisch enge Kleinbürgerwelt. Nur das Obst – die Äpfel, Bananen und Orangen – strahlt agfacolorbunt. Und der große Walter Sedlmayr spielt auch mit. Fassbinder wollte nach eigenen Angaben „die Geschichte eines Mannes, der von den Frauen zerstört wurde“ erzählen.

In der großen Ausstellung "Fassbinder Jetzt" im Martin-Gropius-Bau läuft eine beklemmende Szene, in der die Familie bei Kaffee und Kuchen über den abwesenden Obsthändler spricht. Die Kamera fährt langsam an maskenhaften Gesichtern vorbei, aus den Mündern kommen Gehässigkeiten. „Gut, dass er nicht mehr selber in die Hinterhöfe muss, ich habe mich geschämt“, sagt die Großmutter. Eine gnadenlos genau inszenierte Familienaufstellung, herzlich willkommen in der Nachkriegshölle. Zu sehen ist die Sequenz auf einer von drei großen Leinwänden, zwischen einem Hochzeitsbankett aus „Martha“ und einem Abendessen aus „Acht Stunden sind kein Tag“. Fröhlicher oder freundlicher gehen die Menschen dort auch nicht miteinander um.

Fassbinder - der bundesdeutsche Nachkriegsfilmgott

„Müder Wunderknabe“ (Zeit-Magazin), „The Messiah of the New German Film“ (New York Times), „Säufer und Genie“ (Stern), „Dreht Filme wie andere Leute Zigaretten“ (Spiegel) – im Entree der Ausstellung hängen bewundernde und hämische Schlagzeilen über den bundesdeutschen Nachkriegsfilmgott, der jetzt seinen 70. Geburtstag feiern würde. Gleich gegenüber redet RWF selbst, auf einer Monitorwand mit neun Bildschirmen. Jeder zeigt einen anderen Fassbinder, euphorisch oder erschöpft, aufgekratzt oder aufgedunsen, in Leder- oder Jeansjacke, mit immer wieder neuen übergroßen Brillen auf der Nase. Hört ein Fassbinder auf zu sprechen, fängt gleich der nächste an. „Ich will ein Kino machen, das sehr perfekt, aber auch ganz persönlich ist“, sagt er zum Beispiel.

Filmkostüme, Drehbücher, Finanzkalkulationen, Skizzen, Briefe sind ausgestellt, aber auch Fassbinders „Triumph“-Schreibmaschine, sein Flipperautomat und ein Bayern-München-Trikot, das er 1974 trug. Die Rückennummer: 8.

Martin-Gropius-Bau, bis 23. August, Mi–Mo 10–19 Uhr

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