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Kultur: Fatal und fragil

María de Buenos Aires verkörpert den Tango. Zu Beginn der "Tango operita" von Astor Piazzolla ist sie bereits gestorben, wird vom Erzähler ins Leben beschworen und stirbt erneut, nur um wiedergeboren zu werden.

María de Buenos Aires verkörpert den Tango. Zu Beginn der "Tango operita" von Astor Piazzolla ist sie bereits gestorben, wird vom Erzähler ins Leben beschworen und stirbt erneut, nur um wiedergeboren zu werden. Eine Stadtlegende also, ein identitätsstiftender Mythos der argentinischen Unterschichten, aus dem sie Ende der sechziger Jahre Mut schöpfen konnten. Damals herrschten in Argentinien ähnlich chaotische Zustände wie heute, und der Komponist Astor Piazzolla und der befreundete Dichter Horacio Ferrer verstanden die Geschichte des Tango ausdrücklich als national verbindende Kultur jenseits von Währungsproblemen und politischen Auseinandersetzungen. María lebt immer wieder auf, verführt und lässt sich verführen, verfällt schließlich dem Zauber des Bandoneons und der Brutalität ihres Zuhälters. Doch selbst als sie wieder zur Straßendirne abgesunken ist, zeigt sie unbändigen Lebenswillen.

Eine farbenfrohe Bauklotzsilhouette von Bühnenbildner Stephan Besson begrenzt die Spiel- und Tanzfläche. Der Orchestergraben des Hebbel-Theaters ist hochgefahren, bis zur ersten Reihe reicht die Spielfläche. Einige Caféhaustische und Stühle reichen als Requisiten, das Orchester ist auf die rechte Seitenbühne verbannt. Durch die elektronische Verstärkung verliert der Orchesterklang an körperlicher Präsenz, wird seltsam ortlos. Dieser Eindruck wird durch die Neigung des Dirigenten Harry Spence Lyth zu weichgespülten Rhythmen und nicht sehr kantenscharfen Linien noch verstärkt. Da hat es der Sänger Sébastien Soules nicht leicht, Konturen und Profil zu entwickeln. Yamil Borges als María hingegen setzt sich souverän durch, stattet ihre mysteriöse Figur mit allen Attributen der femme fatale und der femme fragile aus, je nach Szene und Situation. Die Mischung von Heiliger und Hure stößt schon in der Vorlage hart ans Klischee, aber wenn das Klischee so professionell und überzeugend präsentiert wird, lässt sich die zahlreich erschienene Tangoszene Berlins gerne um den Finger wickeln.

Die Choreographie von Anke Glasow orientiert sich an Pina Bausch und vermeidet bis auf wenige, deutlich ausgestellte Zitate jede platte Tangonostalgie. Sechs famose Tänzerinnen und Tänzer werfen sich präzis zu Boden, umkreisen einander, nähern sich und entfernen sich wieder. Nach den neunzig Minuten Aufführungsdauer kennt man zwar das Bewegungsrepertoire der Choreographin, doch bleibt die kleine Tango-Oper stets unterhaltsam, mitunter gar anrührend in Details der Personenführung durch den Regisseur Oliver Munk. Die Szenen bleiben jedoch verwechselbar, wer die Handlung der Aufführung in Originalsprache (ohne Übertitel) verstehen will, sollte den Text vorher gelesen haben. Die Aufführung ist indessen deutlich besser als der prätentiös-symbolistische Text Ferrers, und der emotionale Gestus wird durch Enrique Keils geisterhaften Erzähler mit dem genau phrasierten Körpereinsatz jeder Peinlichkeit entzogen.

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