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Kultur: Faust ist ein Alptraum

Saisonbeginn: Regisseur Michael Thalheimer über das Deutsche Theater, die Berliner Bühnen und Goethes Zauberwelt

Herr Thalheimer, Sie haben in der letzten Spielzeit „Faust 1“ am Deutschen Theater inszeniert, „Katja Kabanova“ an der Staatsoper und „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ am Hamburger ThaliaTheater. Wie erholen Sie sich vom Theater?

Ich hatte sechseinhalb Wochen Sommerpause, davon war ich drei Wochen in den Pyrenäen jeden Tag wandern. Danach sind wir in Irland mit einem Boot den Shannon entlang gefahren. Ich habe mein Handy nicht mitgenommen, und ich habe keine Zeitung gelesen. Ich habe zwei Theaterstücke gelesen, das gebe ich zu. Aber sonst nur Einsamkeit und Natur.

Sie haben bisher sehr viel inszeniert – drei, vier große Stücke pro Spielzeit. Seit dieser Spielzeit gehören Sie zum Leitungsteam des Deutschen Theaters. Verändert das Ihren Arbeitsrhythmus?

Der verändert sich sowieso. Ich habe, nachdem ich 1997 anfing, mal fünf Inszenierungen in einer Spielzeit gemacht, aber das hält man nicht lange aus. Zu Beginn hat man eine unglaubliche Kraft und fragt sich nie, wo die eigentlich herkommt. Aber je mehr man arbeitet, desto komplizierter wird es. Der Druck von außen wird größer, aber auch der Druck, den man sich selbst macht. Man will sich nicht wiederholen, will neue Schritte machen. Angeblich sterben Regisseure zehn Jahre früher, ich hoffe, dass mir das nicht passiert. Die Energie, die man aufbringen muss, um seine Vision zu erzählen – das ist unglaublich kräftezehrend. Auch ohne die neue Aufgabe hätte ich das reduziert.

Was reizt Sie an der Leitungsaufgabe am Deutschen Theater?

Erst mal ist es ein Bekenntnis zum Haus, zum Ensemble. Jetzt planen wir die Spielzeit 2006/07, die wird spürbar eine andere Handschrift bekommen. Zum ersten Mal seit langem sitzt ein Regisseur mit in der Direktion. Das erhöht die Durchlässigkeit. Es klingt vielleicht banal, aber ich verstehe die Schauspieler und Regisseure anders als ein Dramaturg oder Intendant.

Berlin ist eine aggressive Theaterstadt. Ihre Karriere begann in vergleichsweise geschütztem Umfeld, am Hamburger Thalia Theater. Kann man sich als Regisseur in Berlin nur durchsetzen, wenn man seine Ästhetik schon ausformuliert hat? Ist die Stadt zu ungeduldig für neue Regie-Talente?

Ich habe mir anfangs keine Gedanken darüber gemacht. Mit „Emilia Galotti“, meiner ersten Arbeit am Deutschen Theater, hatte ich Glück – im Theater, beim Publikum und der Kritik. Aber die jungen Regisseure an unserem Haus spüren den Druck, die Berliner Ungeduld. Mich stören die Aggressivität in der Stadt und die Gereiztheiten zwischen den Theatern. Ich finde das provinziell. Ich werde auf der Bühne nicht besser, indem ich andere schlecht rede. Ich wünsche Armin Petras, wenn er in der übernächsten Spielzeit das Gorki-Theater übernimmt, allen Erfolg der Welt. Ich glaube, ein erfolgreiches Gorki bringt auch mehr Zuschauer ins DT, ins BE, in die Volksbühne, die Schaubühne. Ich mag diese Spiele nicht, dass man sich selbst auf ein Podest hebt und denkt, jetzt muss ich es allen zeigen.

Sind Sie ein harmoniebedürftiger Mensch?

Bei der Arbeit überhaupt nicht. Bestimmte Ziele, die ich in einer Inszenierung verfolge, gebe ich nicht auf. Lieber ist es ab und zu unharmonisch, und das Ergebnis stimmt, als umgekehrt.

Sie spitzen auch in Ihren Inszenierungen Konflikte konsequent zu. „Liliom“ war alles andere als eine harmlose Komödie.

Nein, und das war harte Arbeit. Da gab es Missverständnisse, Streitereien, Tränen.

Gibt es im Theater nicht viel zu oft eine ungute Gemütlichkeit, weil man mit den immer gleichen Leuten auf eine sehr freundliche, routinierte Weise zusammenarbeitet?

Mit Sicherheit. Aber das hat für mich mit einem Zustand der Selbstgefälligkeit und der Gemütlichkeit zu tun. Daraus entsteht keine Energie.

Sie arbeiten kontinuierlich mit bestimmten Schauspielern zusammen, mit dem Bühnenbildner Olaf Altmann und dem Musiker Bert Wrede. Wie schützen Sie sich vor Routine und eingeschliffenen Mustern?

Auf der einen Seite gibt es die Sehnsucht nach Heimat. Die Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Menschen, denen man vertraut, ist eine Art von Heimat. Aber man darf das nicht missbrauchen, indem man sich gegenseitig nicht mehr wehtut. Diese Heimat muss geprägt sein von der Arbeit. Man kann etwas genauer untersuchen, sich an andere Projekte wagen und zum Beispiel den „Faust“ machen. Auch „Faust 2“. Ich stecke gerade in den Proben, ich weiß, wovon ich rede. Als Gast an einem Haus mit unbekanntem Ensemble inszeniert man nicht „Faust 2“. Da kann man eigentlich nur scheitern.

Ist „Faust 2“ überhaupt ein Theaterstück?

Natürlich nicht, jedenfalls keines mit Figuren aus Fleisch und Blut. Es ist ein pures literarisches Gedankenkonstrukt. Man könnte sich auch denken, das ganze Stück findet nur in Fausts Kopf statt. Was nicht heißt, dass Konflikte nicht ausgelebt würden, mit allen Schmerzen. Das zu inszenieren, ist mitunter ein Alptraum. Man erwischt einen Zipfel, und am nächsten Tag ist er wieder verschwunden. Schon bei „Faust 1“ wollte ich die Gedankenwelt des Textes nicht einfach bebildern. Man kann das große Zauber- oder Welttheater machen, aber ich möchte, dass wir von Szene zu Szene fragen, was erzählen wir uns da. Das läuft natürlich über das Wort, das kann acht Stunden dauern, Tage. Aber so lange wird es bei mir nicht.

Sind fünf Schauspieler auf der Bühne oder hundert?

Es tendiert eher zu fünf als zu hundert. Ganze Erzählstränge sind herausgestrichen. Wir versuchen, „Faust 2“ als Fortsetzung von „Faust 1“ zu verstehen. Ich bin nach wie vor an der Entwicklung der Figuren Faust und Mephisto interessiert. Vor allem bei Faust geht es um die Frage: Wo führt es ihn hin? Wenn am Beginn von „Faust 2“ von der anmutigen Gegend die Rede ist, dann ist das auch so etwas wie die Amputation des Gewissens. Faust hat Valentin getötet, er hat Gretchen in ihr Unglück gestürzt – und jetzt streift er Schuld und schlechtes Gewissen ab. Das ist ein Weg in die Auflösung.

Das Gespräch führten Peter Laudenbach und Rüdiger Schaper.

Michael Thalheimer, 1965 in Frankfurt a.M. geboren, studierte Schauspiel im schweizerischen Bern. Er debütierte 1997 als Regisseur in Chemnitz. Der Durchbruch gelang ihm 2000 mit seiner

„Liliom“ -Inszenierung am Thalia-Theater Hamburg. Thalheimer inszeniert seit 2001 („Emilia Galotti“) am Deutschen Theater Berlin , zuletzt „Faust 1“. Am 7. Oktober hat dort seine Version von Goethes „Faust 2“ Premiere. Seit Beginn der Spielzeit gehört er zur künstlerischen Leitung des Deutschen Theaters.

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