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Kultur: Fegefeuer in Darmstadt

Ist das Sprechtheater am Ende? Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung debattiert

„Wohin treibt das Theater?“, fragt die diesjährige Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung unfroh, denn sie macht sich Sorgen. Sorgen um das Wort, als dessen Hüterin sie sich bestellt sieht, Sorgen um den literarischen Text, der dem Theater nur noch als Materialsteinbruch diene. Ganz wertfrei sei die Frage gemeint, beeilte sich Akademiepräsident Klaus Reichert bei der Auftaktveranstaltung zu betonen – doch schon sein erster Satz hatte die vorgebliche Neutralität (und die eingeladenen Verfechter des Dichtertextes auf dem Podium) Lügen gestraft: es gebe kein ernsthaftes Theater mehr in Deutschland.

Aber der Initialzündung folgte kein Krach, sondern nur Verpuffung. Zwar teilte Regisseurin Andrea Breth, derzeit Wien, als Vertreterin der Demut vor dem Geschriebenen, großzügig nach allen Seiten aus: an das Fernsehen, das Bildungssystem, die Kritik, Theater, die junge Autoren verheizten, und natürlich an die Kollegen, die nur der Pflege ihres genialen Ego huldigten. Doch Dramaturg Carl Hegemann, der nach der kaum überraschenden Absage seines Chefs Frank Castorf die Berliner Volksbühne als Vordenker der Gegenseite vertrat, nahm die Herausforderung, wie ebenfalls kaum anders zu erwarten, durch Unterlaufen auf – durch Verlesen eines Manifests aus dem Jahr 1994.

Die Volksbühne sei zur Zuflucht der Realität geworden, seit die Wirklichkeit sich immer stärker theatralisiere. Hegemann sprach vom „gewissenhaften Missbrauch“ der Texte durch Regisseure wie Castorf und Marthaler, die die eigentlichen Gegenwartsautoren seien. Die Metapher vom dahintreibenden Theater, von Breth apokalyptisch aufgeladen, wertete er fröhlich – und im Sinn eines „religious turn“ der Volksbühne – um: „Wir müssen anerkennen, dass es etwas gibt, das uns treibt.“ Es gelte, die Tragödienerfahrung des Theaters auf das Theater selbst anzuwenden – die Möglichkeit seines Verschwindens miteinzubeziehen und die daraus resultierende Freiheit zu nutzen. Nur ein Theater, das sich selbst radikal und rücksichtslos riskiere, sei angesichts der Simulationswelt draußen unersetzbar.

In der folgenden Podiumsdiskussion, die wenig Neues brachte, aber munter zwischen Teleobjektiv und Zoom, Apokalypse und Utopie schlingerte, hatte Klaus Reichert kaum eine Chance, sich mit seinen inständigen Fragen nach der Bedeutung des dramatischen Textes durchzusetzen. Die klügste Antwort fiel beinah in einem Nebensatz. Die gegenwärtige Krise gehe nicht vom postdramatischen Theater aus, so der Dramatiker und Bochumer Dramaturg Thomas Oberender, sondern von den Schwierigkeiten, in gesellschaftlichen Umbruchszeiten einen Standpunkt zu finden.

Den hatte Regisseur Frank-Patrick Steckel längst gefunden. Mit dem Furor des gescheiterten Revolutionärs nahm er das Ende des gesamten bürgerlichen Projekts durch Entsolidarisierung ins Visier: Solange es – das war an den Verleihungsort des Büchner-Preises gerichtet – keinen neuen Hessischen Landboten gebe (der einst „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ verhieß), liefere sich das Theater der Lächerlichkeit aus.

Doch dass Umbruch und Krise nie nur Risiken, sondern immer auch Chancen bedeuten – nicht nur für ein experimentierfreudiges und selbstreflexives Theater, sondern auch für ein gesamtgesellschaftliches Prinzip Hoffnung, wie es die Frankfurter Intendantin Elisabeth Schweeger formulierte: Das war der bei weitem stärkere Eindruck, den dieser Darmstädter Abend hinterließ.

Ruth Fühner

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