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Kultur: Feingeist

Musikfest: András Schiff im Kammermusiksaal

Es sind nur fünf Töne. Kaum hat sich die Stimme erhoben, senkt sie sich wieder, erstirbt, setzt wieder an, nochmals und abermals und kommt doch nicht los. Trauma-Musik, sie brennt ein Loch in die Zeit, mit Pausen, Zögern, Schweigen. Ein Hauch Luigi Nono steckt in Leos Janáceks Klaviersonate es-Moll mit dem Titel „Von der Straße“, ist sie doch einem tschechischen Arbeiter gewidmet, der bei den Brünner Aufständen 1905 vom Bajonett eines Deutschen durchbohrt wurde. Der dritte Satz, ein Trauermarsch, ist verschollen, also legt András Schiff bei der Musikfest-Matinee im Kammermusikaal der Philharmonie alle Ausdrucksintensität ins Adagio: ein wie in Bernstein eingeschlossener Schmerz.

András Schiff ist ein Hohepriester des erlesenen Klavierspiels und ein politischer Musiker: Aus Protest gegen den Rechtsruck und die Einschränkung der Meinungsfreiheit tritt er seit einigen Monaten in seiner Heimat Ungarn nicht mehr auf. Insofern ist es auch ein kleines Politikum, dass ihm beim Jubiläumskonzert zum 30. Geburtstag der IPPNW ( „Ärzte gegen den Atomkrieg“) ausgerechnet bei Janácek der Stehkragen platzt. Mitten im Adagio springt er auf, beklagt sich über die Huster im Saal und geht ab. Schiff verlangt Respekt vor dem, wovon die Musik kündet. Ein Deserteur ist er nicht: Schnell kehrt er zurück und wiederholt den gesamten Janácek, eine Reverenz an alle Freiheitskämpfer.

Vier Klaviersonaten, die auf je eigene Weise Regeln verletzten und die Form sprengen: Beethovens op. 109, die erste seiner drei letzten himmlischen Sonaten. Béla Bartók mit seiner mikrorhythmisch vertrackten Sonate von 1926. Und nach Janácek schließlich Schuberts selbstvergessene G-Dur-Sonate, D 894. Schiff paart den Freigeist mit Feingeist, spielt wie immer mit luzider Anschlagstechnik, nuanciert Tempi und Farbschattierungen, legt einen verführerischen Hang zur Schwerelosigkeit an den Tag. Bei Bartóks und Beethovens Verve kondensiert und intensiviert er zwar, aber trumpft niemals auf. Sein Ideal ist die natürliche Anmut, ist Weisheit statt Wucht. Schiff, der zuletzt auch in Berlin für seine Beethoven- und Bach-Zyklen gefeiert wurde, mag es im Zweifel lieber impressionistisch hingetupft, selbst wenn es (wie beim Zugaben-Impromptu) auf Kosten der Verbindlichkeit geht.

Der Pianist als Philosoph. Selbst das derb Täppische von Schuberts Rondo-Finale verfeinert er auf exquisite Weise; die Luft wird fast ein wenig zu dünn. Musik als Enklave, als Fürbitte für äußeren und inneren Frieden. So hatte Peter Hauber, Organisator der IPPNW-Concerts, in seiner Festansprache Beethovens Motto für die „Missa solemnis“ zitiert und auch Theodor Heuss bemüht, demzufolge man mit Politik keine Kultur machen kann, aber vielleicht mit Kultur Politik. Schöner Satz zum Wahl-Sonntag. Christiane Peitz

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