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Foto: dpa / Jacek Bednarczyk

© picture alliance / dpa

Kultur: Felder, Flüsse, Mulden

Der Filmemacher und Dichter Jonas Mekas präsentiert in Berlin ein Erinnerungsbuch.

Von Gregor Dotzauer

Als Filmemacher ist er irgendetwas zwischen einem avantgardistischen Fossil und einem Heiligen des Underground. Um der künstlerischen Gestalt des 1922 im litauischen Semeniškiai geborenen Jonas Mekas gerecht zu werden, muss man allerdings auch den Dichter kennen. Im Gegensatz zum Chronisten der amerikanischen Beat Generation, als der er seit den 90er Jahren auch in Deutschland herumgereicht wird, war er mangels Übersetzung viel zu lange nur ein Gerücht. Die deutsche Erstveröffentlichung seiner poetischen Anfänge fällt nun zusammen mit einer weiteren Kinohommage des Dokumentaristen Peter Sempel. Nach „Jonas in the Desert“ (1994) und „Jonas at the Ocean“ (2002) zeigt „Jonas in the Jungle“ nun einen Mekas, der auch mit 90 Jahren noch den Wirbelwind gibt, mit der Generation Occupy sympathisiert und dabei aus der Erinnerung an seine litauische Vergangenheit schöpft.

Während er als Filmemacher aber ein unruhig flackerndes, zum Privatistischen neigendes Tagebuchkino pflegt, das mit der 16-Millimeter-Handkamera Impressionen von Freunden und Familie sammelt, hat der Dichter einen erstaunlichen Atem. Vor allem in seinen „Semeniškiai-Idyllen“, einem 26-teiligen, die Jahreszeiten durchschreitenden Zyklus, wohnt eine Sinnlichkeit und Sehnsuchtsweite, die sich nur damit erklären lässt, dass er im Moment des Schreibens etwas Verlorenes beschwor.

1944 wurde Mekas zusammen mit seinem jüngeren Bruder von den Nazis in Litauen verhaftet und für acht Monate in ein Arbeitslager im schleswig-holsteinischen Elmshorn deportiert. Nach dem Krieg kam er in Lager für displaced persons in Wiesbaden und Kassel. Dort entstanden die ersten Texte. „Mir war allzu schwer ums Herz“, erinnert er sich: „Ich lief durch die Felder von Kassel, aber ich hatte nur die Felder von Semeniškiai im Sinn.“ Eine bukolische Dichtung ist so entstanden, aber mit einem dunklen Timbre, das im Konkreten wurzelt. „Aus schweren, mit Wasser vollgesogenen Wolken / strömt der Regen unaufhörlich auf Felder, Flüsse, Mulden“, heißt es in der „Siebenschläfer“-Idylle, „und die Bauern laufen um die Häuser, um nach den Heudiemen auf den Feldern zu sehen, / nach dem umgeknickten, flachliegenden Roggen, den vom Wasser überfluteten Wiesengründen, // oder sie zerren, eingehüllt in klamme, weite Säcke, / das triefende, durchnässte Vieh / über die Weiden, im angestauten Wasser watend“.

Mekas kommt fast völlig ohne Metaphern aus, alles Bildhafte, ja der sprachlichen Nüchternheit zum Trotz geradezu Bildtrunkene, steckt im Narrativen. Noch sehr viel erzählender angelegt sind die 1951 bereits in New York entstandenen „Reminiszenzen“ im zweiten Teil des Bandes, Erinnerungen an das Leben unter hessischen Himmeln und den Abschied von dort. Auch für sie gilt jedoch, was Czeslaw Milosz in seinem Vorwort, Simone Weil zitierend, festhält: „Der Abstand ist die Seele der Schönheit.“

Gemessen an einem Titan wie Milosz schreibt Mekas natürlich keine große Poesie – geschweige denn moderne. Seine Lyrik ist, wie der polnische Nobelpreisträger erklärt, insofern traditionell, als sie sich an Litauens bedeutendstes Versepos aus dem 18. Jahrhundert anlehnt, die „Jahreszeiten“ des deutsch-litauischen Pfarrers Kristijonis Donelaitis im einstigen Ostpreußen. Ein Werk, mit dem sich noch Johannes Bobrowski in den „Litauischen Clavieren“ auseinandersetzte.

Die Gedichte, die „Alt ist dieses, unser Sprechen“ versammelt, sind dennoch eine bewegende Lektüre – auch weil es so viele Berührungspunkte mit deutscher Geschichte gibt. Die Ausgabe, deren Zweisprachigkeit auch durch unterschiedliche Typografien sinnfällig wird, ist mit grauem Leinen und Lesebändchen sehr schön ausgestattet und mit allen nötigen Informationen versehen. Zwischendurch glitzert und blitzt es manchmal, doch es überwiegt etwas, das den Titel von Jonas Mekas’ letzter umfangreicher Filmkompilation „As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty“ kontrastiert – ein kontinuierliches Leuchten. Gregor Dotzauer

Jonas Mekas: Alt ist dieses, unser Sprechen. Gedichte. Litauisch und Deutsch. Übersetzt und mit einem Nachwort von Claudia Sinnig. Matto Verlag, Köln 2013. 200 Seiten, 25 €. – Autor und Übersetzerin stellen den Band am Dienstag, 29. Oktober, um 20 Uhr im Literaturhaus Berlin vor.

Jonas Mekas, 1922 in Litauen geboren, kam 1944 als Zwangsarbeiter nach Deutschland. Seit 1949 lebt er in New York, wo er mit Essay-Filmen das

New American Cinema mitbegründete.

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