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Selbstporträt des Malers Felix Nussbaum mit Judenpass.

© picture alliance / dpa

Felix Nussbaum und Felka Platek: Bilder können nicht sterben

Das Malerpaar Felix Nussbaum und Felka Platek wurde von den Nazis verfolgt und ermordet. Hans Joachim Schädlich hat einen Roman über ihr Schicksal geschrieben.

Das ganze Unglück der Nazi-Machtübernahme in Deutschland konkretisiert sich für den deutsch-jüdischen Maler Felix Nussbaum an einem Mai-Nachmittag 1933 in Rom, in der Villa Massimo. An diesem Tag stürzt sein Malerkollege Hanns Hubertus Graf von Merveldt auf ihn zu, unterstellt ihm, er habe eine Bildidee geklaut, und schlägt Nussbaum zu Boden. Beide Maler müssen die Villa Massimo verlassen. Weil ihm schon zu diesem Zeitpunkt eine Rückkehr nach Deutschland ausgeschlossen erscheint, überlegt der 1904 in Osnabrück geborene Nussbaum mit seiner aus Warschau stammenden Freundin und späteren Ehefrau, der Malerin Felka Platek, sich woanders in Europa niederzulassen: „Lass uns an die Riviera fahren, an die italienische. Nach Alassio.“. Woraufhin sie sagt: „Ein teures Pflaster“. Und er: „Mein Vater hilft uns“. Was wiederum sie ergänzt mit dem Satz: „Ich habe auch noch etwas“.

So jedenfalls hat sich diese Entscheidungsfindung Hans Joachim Schädlich vorgestellt. In seinem Buch „Felix und Felka“ erzählt Schädlich auf die ihm eigene verknappte, zuletzt in Romanen wie „Narrenleben“ und „Sire, ich eile...“ erprobte Weise eine wahre Geschichte mit historischen Figuren. Ging es in den Vorgängern um das Leben zweier Narren aus dem 18. Jahrhundert sowie die Beziehung zwischen Friedrich dem Zweiten und Voltaire, so widmet sich der 82 Jahre alte Berliner Schriftsteller nun dem Schicksal des von den Nazis verfolgten und 1944 in Auschwitz ermordeten Malerpaares Felix Nussbaum und Felka Platek, insbesondere ihrer Odyssee, die auf die Szene in der Villa Massimo folgte.

Dabei bedarf es zunächst einiger Gewöhnung, Schädlichs Dialogen zu folgen. Sie wirken staksig, es fehlt ihnen an einer gewissen Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit. Sie dienen häufig nur dazu, Informationen zu transportieren. Zum Beispiel wenn Felix sagt, nachdem er und Felka im belgischen Seebad Ostende gelandet sind:  „Hinter dem Horizont ist Amerika. Vielleicht sollten wir nach Amerika ziehen. Es ist weit genug von Deutschland entfernt. Von Deutschland nach Belgien ist es für die Nazis nur ein Katzensprung.“ Und sie: „Aber in Belgien kennst du dich aus. Hier leben alte Freunde von dir. Du sprichst ihre Sprache.“

Halbdokumentarisches als Kunstform

Trotzdem gelingt es Schädlich, auch Gefühlsregungen zu vermitteln, scheinen in den Worten seiner Figuren Zweifel, Skepsis und Unsicherheit mit durch. Man darf die Form dieser Dialoge durchaus als eigene Kunstform verstehen. Schädlichs semidokumentarische Prosa hebt sich mit ihrer artistischen Nüchternheit schön ab, wohltuend geradezu im Vergleich mit der beliebten fiktiven Einfühlung, die beim Schreiben erzählender historischer Sachbücher inzwischen das Mittel der Wahl ist. Man denke da beispielsweise an Volker Weidermanns Bücher „Ostende“ und „Träumer“ oder Florian Illies’ Jahresreigen „1913“.

In Folge des Herumirrens von Nussbaum und Platek durch Italien, Frankreich und Belgien baut Schädlich schließlich zunehmend mehr Dokumente mit ein: Briefe, die Nussbaum an die Familie des Ingenieurs Friedrich Klein in die USA schreibt (dem er Bilder von sich zukommen ließ und der ihm wiederum mit Geld aushalf), oder an den Malerkollegen Ludwig Meidner; Briefe, die einen anderen Sprachsound haben, die von materieller Not künden, aber auch von dem unbedingten Willen, der Berufung nachzugehen, nicht „schlapp machen“ zu dürfen: „Die Begeisterung zur Kunst ist trotz der Zeit, in welcher wir leben, nicht beeinträchtigt worden, im Gegenteil sogar“, schreibt Nussbaum 1939 an Klein.

Doch nicht nur Briefe von Nussbaum hat Schädlich montiert. Er zitiert aus vielen Werken anderer Zeitgenossen, die etwa wie der Maler nach dem Einmarsch der Deutschen in die Benelux-Länder in das Gefangenenlager St. Cyprien nach Südfrankreich deportiert worden sind, Walter Mehring oder Erich Weinert. Oder die Malerin Irene Awret, die Nussbaum im SS-Sammellager Mechelen begegnet, kurz bevor er mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz gebracht und ermordet wird. „Frau Rosenberg machte mich eines Tages beim Rundgang auf dem Hof auf einen mageren, stumm vor sich hin blickenden Neuankömmling aufmerksam.“, so Awret, die sich auch seine Bilder anschaut: „Auf winzigen Blättchen Papier waren eine einsame, trübe Birne zu sehen, ein schwärzlicher Apfel oder eine düstere Zitrone, die Unheil zu verkünden schien.“

Albträume auf der Holzpritsche

Ob in düster-engen Brüsseler Souterrain-Wohnungen oder Mansarden, ob in den Lagern in Südfrankreich oder Mechelen: Nussbaum hat immer gemalt. Wie konsequent er seine Kunst verfolgt, wie unerbittlich er selbst seiner Frau gegenüber ist, zeigt sich darin, dass Nussbaum ein von Felka Platek gemaltes Porträt einer Nachbarin karikiert, mit überlangem Hals, viel zu großem Kopf und hervorquellenden Augen malt er diese nun. Am Ende lässt Schädlich seinen Helden in Mechelen auf seiner Holzpritsche fiebern und albträumen, um primär eine beeindruckend lange Liste der Bilder von Nussbaum zu erstellen, von den in Osnabrück entstandenen über die Ostender bis hin zu den vielen Selbstbildnissen, darunter eines der berühmtesten, das „Selbstbildnis mit Judenpass“. „Lasst meine Bilder nicht sterben, zeigt sie der Nachwelt“, soll Nussbaum kurz vor seinem Tod gesagt haben. Dieser Aufforderung ist auch Hans Joachim Schädlich mit seinem schlanken Buch über das Schicksal von Nussbaum und seiner Frau eindrücklich nachgekommen.

Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 202 Seiten, 19, 95 €. Am Mi, 24.1., 20 Uhr, Buchpremiere im LCB am Wannsee

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