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Künstlerin Mariechen Danz mit ihrem Werk "womb Tomb".

© Peter D. Hartung

Fellbach Triennale in Stuttgart: Gekühlte Knete

Von der Steinzeit bis zum Zukunftswesen: eine Skulpturenausstellung vor den Toren von Stuttgart.

Nicht nur im Hamburger Bahnhof in Berlin, auch in Fellbach am nordöstlichen Stadtrand Stuttgarts züchten sie die Aliens von morgen. „Mamaroos“ heißen diese Wesen. Ihre großen, sanft rotierenden Petrischalen entpuppen sich als automatisierte Babyschaukeln.

Doch die Kleinen, die sich in den Kunststoffwiegen prächtig entwickeln, muss man Wechselbälger nennen: Die für den Berliner Preis der Nationalgalerie nominierte Künstlerin Katja Novitskova hat den Nachwuchs gegen technoide Konstrukte eingetauscht; gezeugt aus Kunststoff, Dioden, Spielzeug und Ton.

Das sieht niedlich aus, wirkt dann aber doch wie die düstere Prophezeiung einer Zukunft ohne menschliches Antlitz.

Unweit davon bezeugen Objekte von Bruno Gironcoli, dass sich Künstler auch früher schon Gedanken über die Zeit nach ihnen gemacht haben. Der Österreicher schuf ab den 70ern dreibeinige Babys und androgyne Wesen, indem er die alltägliche Formsprache in futuristische, silbern schimmernde Gestalten goss – mit Lust auf Fortschritt, aber auch Skepsis gegenüber der Autonomie der Maschinen.

Gironcoli wird derzeit wiederentdeckt, seine Beiträge auf der Fellbacher Triennale für Kleinplastik sind jedoch nicht das älteste Zeugnis einer Zustandsbeschreibung mit künstlerischen Mitteln.

Seltsam schöne Skulpturen der Generation Rollkoffer

Triennale-Kuratorin Brigitte Franzen ergänzt in ihrer Ausstellung „40 000 – Ein Museum der Neugier“ zeitgenössische Bildhauerei und Videos durch eiszeitliche Funde von der nahen Schwäbischen Alb. Winzige Tierfiguren sind darunter, ein Mensch mit Löwenkopf und eine wenige Zentimeter große weibliche Figur mit so enormen Brüsten, dass man von Realitätsverzerrung sprechen muss.

Womit der Bogen bis zu Anna Uddenberg reicht, die die Generation Rollkoffer in seltsam schöne und gleichzeitig vollkommen überspannte Skulpturen bannt: hochmodisch ausstaffierte Kunstfiguren mit falschen Nägeln, Haaren und aus pflegeleichten Poly-Materialien, wie man sie in Flughäfen oder Konferenzräumen findet.

Die 14. Ausgabe der renommierten Triennale reist in 40 000 Jahren vom Stein zur Synthetik. Dazwischen spannt sie ein Panorama, das mal dem Körper huldigt wie in dem Super-8-Film „Bach“ der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta von 1974, mal den geometrischen Strukturen, wie sie Lygia Clark in der Aluminiumfaltung „Bicho“ (1963) gestaltet – so flexibel allerdings, dass frühere Besucher ihrer Ausstellungen sie umbauen durften.

[Fellbach Triennale, Alte Kelter Fellbach, bis 29. September., Katalog 18 Euro]

Es gibt die prozessualen Gebilde Norbert Krickes, dessen Raumplastiken aus gebogenem Stahl Bewegung visualisieren, und blasenartige Ausstülpungen von Pauline M’barek, die sich als Negativformen von Sandlöchern entpuppen.

Nevin Aladag platziert in ihrem Video „Traces“ Musikinstrumente in tristen Fußgängerzonen oder auf Spielplätzen, die wie von selbst zarte Töne erzeugen. Und der texanische Künstler Mel Chin kreiert Schmuck, dessen Edelsteine sich über das Dekolleté einer Schaufensterpuppe ergießen.

Bloß die Untertitel dieser Serie namens „Cluster“ irritieren. „AK 47“ oder „M-16“: Sind das nicht Waffen? Chins Glitzer ahmt die Einschusslöcher und damit tödlichen Verletzungen nach, die die Gewehre bei ihren Opfern hinterlassen.

Komplexe Geschichten auf kleinem Raum

In Fellbach passt die Triennale mit über 150 Arbeiten von 60 Künstlerinnen und Künstlern in einen Saal. Weil man hier zum 14. Mal der kleinformatigen Plastik huldigt, reicht die Alte Kelter der Stadt völlig aus. Kaum ein Werk sprengt den vorgegebenen Rahmen.

Doch übersichtlich heißt nicht automatisch simpel. Vieles konzentriert komplexe Geschichten auf kleinem Raum, fordert Zeit und Einsicht. Das Werk der Künstlergruppe Weekend & Plaste, zu der auch Alice Creischer und Andreas Siekmann gehören, umfasst kaum mehr als einen Kühlschrank mit angeschlossenem TV-Gerät.

Doch schon die gut gekühlten Knetfiguren möchten intensiv angeschaut werden. Und für das Video „Don’t Open Dept Inside – ein Totentanz – der Film“ braucht es 20 Minuten, um den Konflikt zwischen dem Kapital und drei kommunistischen Widerstandskämpfern im glasfassadigen Berlin zu verstehen. Es kommt nicht auf die Größe an. Sondern auf den Inhalt.

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