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Christl Clear nennt sich, frei nach dem Liedermacher Wolfgang Ambros, eine "Blume aus dem Gemeindebau".

© Marion Ida

Feministisches Manifest: Schmäh und Slang aus dem Wiener Gemeindebau

Die Influencerin Christl Clear beschreibt in „Let me be Christl Clear“ ihre Erfahrungen als schwarze Feministin. Die Stimme eines "Kids aus der Diaspora".

Dieses Buch zu schreiben, sei wie ein Heilungsprozess gewesen, sagt Christl Clear in einem Video auf Instagram. Es sei keine Autobiografie oder ein Selbsthilfebuch, sondern eine Textsammlung zu Themen, die die Wienerin beschäftigen. Der Titel sagt schon fast alles und ist dabei doch so vielseitig wie die Autorin selbst. „Let me be Christl Clear“. Streicht man den Namen der Autorin, steht da: Lasst mich sein! Vom Wunsch zu sein – ohne Rassismus, Sexismus, Erwartungen anderer, Altersdiskriminierung, Karrieredruck – schreibt sie eindrucksvoll und doch leicht in ihrem ersten Buch.

Sie bleibt ihrem persönlichen Mix aus Wiener Schmäh („Oida“) und Slang („holy shit“) treu. Es sei ihr wichtig gewesen, dass das Buch nicht zu hochgestochen sei und alle es verstehen könnten. Bevor man Clear nun aber vorschnell in die Influencer:innen-Bubble stopft, sollte man einen Moment innehalten, denn weder die Autorin noch ihr Buch passen in diese oder eine andere Schublade.

Wer Christl Clear, die eigentlich Christiana heißt, kennt, weiß, dass sie eine „Blume aus dem Gemeindebau“ ist, wie der Liedermacher Wolfgang Ambros gesungen hat. Sie trägt das Zitat auch auf einem Shirt. Die Österreicherin ist mit drei Geschwistern und ihren nigerianischen Eltern in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Studium hat sie abgebrochen und stattdessen angefangen bei Lifestyle-Magazinen zu schreiben. Nach dem Bloggen kam sie zu Instagram.

Gleich im Intro setzt die Wienerin den Grundton: ihr Leben, ihr Buch, ihre Regeln. Das mag erstmal harsch wirken, doch bricht es bloß patriarchale Erwartungen. Clear stellt sich selbst an erste Stelle, sie ist der Hauptcharakter – ihres Buches, ihres Lebens – „Seit Generationen wird speziell uns Frauen eingeredet, wie wir uns zu verhalten haben, wie wir aussehen dürfen, was sich schickt und was sich nicht schickt, und absurderweise hat es viel zu lange funktioniert.“

Mit gerade mal 160 Seiten ist „Let me be Christl Clear“ nicht nur kurzweilig, sondern tatsächlich kurz. Um es mit dem Begriff Manifest zu labeln wahrscheinlich zu kurz, doch ein Ratgeber ist es sicher auch nicht. Schade nur, dass sich ihr Debüt mehr wie eine kolumnenartige Abhandlung liest und lediglich als Einstieg ins Thema intersektionaler Feminismus dienen kann.

Das scheint so gewollt und hat seine Berechtigung, denn Clear schreibt herrlich reflektiert und bereichert die weiße, männliche Literaturlandschaft: „Ich kann nicht für alle Schwarzen schreiben, ich kann nicht für alle Frauen schreiben und ich kann schon gar nicht für alle nicht schlanken Frauen schreiben, also schreibe ich für mich und stellvertretend für meine Freundinnen und Freunde, die auch Schwarz sind und von denen ich weiß, dass sie eine ähnliche Meinung haben wie ich.“ Man kann also nur hoffen, dass „Let me be Christl Clear“ lediglich ein Auftakt ist.

Wirklich interessant wird das Buch gegen Ende. Clear schreibt erstmals offen und im Tagebuchstil über ihre IVF-Behandlung sowie Termine in einer Kinderwunschklinik. Sie gewährt Einblicke in ihre Gefühlswelt, ihre Ehe, schreibt über Hormonspritzen und bis zur Drucklegung des Buches vergebliche Befruchtungsversuche. Das ist so gar nicht das Thema, das man dem Klappentext zufolge vermuten würde und darum eine überraschende Wendung. Der unerfüllte Kinderwunsch gehört eben genauso zu Clears Leben und findet deshalb wie selbstverständlich zwischen dem Kapitel zu Altersdiskriminierung und der Danksagung statt.

Ergänzt wird der Text durch knallpinke Zitatblöcke, die an Clears Blog erinnern, sowie Illustrationen von Leni Charles, Mitgründerin des österreichischen Modelabels „Kids of the Diaspora“. Die beiden Österreicherinnen mit nigerianischem Background komplementieren sich perfekt, es ist allerdings auch nicht ihre erste Zusammenarbeit. Vor einigen Jahren stellte Clear Charles auf ihrem Blog in der Reihe „Christls Woman Crush“ vor und trägt regelmäßig die Kollektionen der „Kids of the Diaspora“. Ein perfektes Match, für einen ersten Exkurs in die Welt der Literatur. Pia Benthin











— Christl Clear:
Let me be Christl Clear. Kremayr & Scheriau, Wien 2021, 160 Seiten, 22 €

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