zum Hauptinhalt
So schön kann Technik sein: ein von der Rundfunk-Fernseh-Telekommunikation AG in Staßfurt produzierter Fernseher, designed von Colani.

© dpa

Fernsehen als spirituelle Erfahrung: Mission impossible

Der Publizist Kurt Scheel ist gestorben. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir noch einmal eine seiner Tagesspiegel-Kolumnen - ein Lob des Fernsehens.

Übers Fernsehen nörgeln kann jeder Abiturient – um es zu loben, braucht es einen trainierten Verstand, wenn nicht gleich gar das Große Latinum. Dennoch, meine verehrten Leserinnen und Leser, fällt es sogar einem notorischen Schönfärber wie mir gelegentlich schwer, meine positive Grundeinstellung beizubehalten: Ich bin eben auch nur ein Mensch, habe meine Anfechtungen und Melancholien. Aber immer, wenn mich Nörgelsucht und Besserwisserei zu überkommen drohen, schalte ich auf Kanal 25, und wie durch Zauberhand werde ich getröstet und zurechtgestutzt. Wer manchmal diesen Kanal guckt, für den hält selbst der MDR keine Schrecken mehr bereit: Hölle, wo bleibt dein Stachel?!

„Seit August 1985 können Bürgerinnen und Bürger in Berlin ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch in Radio und Fernsehen verwirklichen“ (Selbstverwirklichung!) und „ihre eigenen Sendungen im Offenen Kanal Berlin ausstrahlen. Hier gibt es kein Sendeschema, keine inhaltlichen Vorgaben, keinen Intendanten" (Bonzen!), und es geht natürlich „nicht um Einschaltquoten oder Ausgewogenheit" (Gleichmacherei!), sondern „darum, dem glatten, professionellen Radio und Fernsehen selbst etwas entgegenzusetzen“ (selbstgebastelte, naturbelassene Sendungen!). Ach, diese wunderbare Sprache! Riecht sie nicht nach Frauenhaus und Babyklappe, nach Planstelle und Jutebeutel?

Palmen und Minarette

Besonders schön und spirituell ist der Offene Kanal am Wochenende, da sind die Erleuchteten und Frohbotschaftverkünder mit Macht am Drücker. Ein beliebiger Sonntag des letzten Jahres: 13.15 Uhr Weg zur Rechtleitung, verantw. Ayham Badam; 13.45 Das Licht des Islam, Birol Ucan; 14.00 Der Plan Gottes, Ewald Frank; 14.30 Rabih Khodr; 14.45 Islamisches Bildungsfernsehen, Imad Khodr; 15.00 Stunde der frohen Botschaft, Kurt Schwalbe; 15.30 Bahai Info, Daryoush Talebi usw.

Im Islamischen Bildungsfernsehen habe ich einmal eine junge Frau erlebt, die saß vor einem zauberhaften Bild mit Palmen, Minaretten, Moscheen und predigte so ernst und ruhig daher, daß mir ganz besinnlich wurde. Da sie ausländisch sprach, verstand ich immer nur das Wort „Allah“, das sehr häufig vorkam, und gelegentlich wurde eine Telefonnummer eingeblendet, aber sonst war es eine sehr zurückhaltende Inszenierung, kein Scheinwerfergeblitze wie in den Quizsendungen, kein künstlicher Rauch wie beim Fernsehballett. Ganz schlicht und cool, und es war schön zu sehen, daß unsere Jugend nicht in Gänze dem Konsumismus und der Spaßgesellschaft zum Opfer gefallen ist.

Mit dem Schöpfer im Reinen

Imad Khodr hingegen turnt den Zuschauer erst einmal mit ethnischer Musik an, bevor er zu predigen beginnt: "Liebe Schwestern und Brüder, vernachlässigen Sie nicht, das Pflichtwissen zu lernen!" Wo wird man denn, ist doch gerade das Pflichtwissen quasi Pflicht! Khodr liest nicht ab, er dichtet frei, und wenn Sie Glück haben, kommt er dann auf den Samenerguß zu sprechen, der hat mit den 15 Mondjahren zu tun, dann ist man nach islamischem Recht volljährig, und das gilt auch für die Menstruation.

Nicht, daß es bei den Christen weniger bizarr zuginge! Missionar Ewald Frank ist mein Liebling: Stellen Sie sich einen alten, gut gewachsten Lederfußball vor, der überirdisch lächelt, so richtig von innen erleuchtet. Dass er mit seinem Schöpfer im Reinen und dass Mützchen und Turbane nicht das Schlimmste sind, davon legt des Missionars sehr stark gemusterter Pullover Zeugnis ab: Er hat etwas Infernalisches, ist gleichzeitig aber auch der Beweis dafür, daß alles, und sei es noch so grauenhaft, eine Rolle im Heilsplan spielen kann. Vom Pullover des Schreckens abgesehen, ist Frank leider gar nicht verkleidet, wie es doch eigentlich die Prediger und Gottesmänner aller Religionen lieben – schade.

Für das Gute, gegen das Schlechte

Sie haben es bemerkt: Ein bißchen verrückt kommen mir diese Brüder schon vor (es sind fast immer Männer, Frauen sind glücklicherweise nicht in dem Ausmaß von religiösem Erziehungsfuror befallen), und solange sie „pro bono, contra malum“ predigen, ist ja kaum etwas dagegen zu sagen. Vielleicht befinden sich unter ihnen sogar die zehn Gerechten, die unsere Welt bekanntlich am Laufen halten, weshalb auch die Agnostiker ihnen zu Dank verpflichtet wären. Im übrigen schalten wir normalen Gucker dann demütig auf Arte und MDR und RTL 2 um, ja sogar RTL 2: Das glatte, professionelle Fernsehen will uns plötzlich als gar nicht mehr so gottverlassen erscheinen.

Kurt Scheel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false