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Kultur: Fernsehzimmer: Das Private der Politik

Harald Schmidt hat also gesagt, 80 Prozent des Fernsehens seien "unfassbarer Müll". In spätestens zwei Jahren wird der Unterhaltungskünstler wahrscheinlich sagen, Fernsehen sei ziemlich interessant und das Medium soziologischer Aufklärung.

Harald Schmidt hat also gesagt, 80 Prozent des Fernsehens seien "unfassbarer Müll". In spätestens zwei Jahren wird der Unterhaltungskünstler wahrscheinlich sagen, Fernsehen sei ziemlich interessant und das Medium soziologischer Aufklärung. Vielleicht spricht aus seiner mäßigen Provokation aber auch nur ein Überdruss an der monotonen eigenen Sendeform. Nicht die beiläufige und wandelbare Medienkritik Schmidts ist interessant, sondern die bedingten Reflexe, mit der die Zeitungen diese und andere Fundamentalismen gerne aufnehmen - begierig, immer wieder und ohne Modulation. Sie finden dafür sicherlich ein beifällig nickendes Publikum.

Aber "das Fernsehen", was ist das eigentlich? Was bringen die ewigen Pauschalverdikte? "Die Zeitung" oder "das Buch" werden als solche kaum noch angegriffen, weil es sich schon um ziemlich alte Medien handelt. Printjournalisten müssen sich nur in Ausnahme-Skandalen (Sebnitz, Gladbeck) öffentlich Gedanken um ihr Metier machen. So bleibt die Fernsehbranche singulär, die auch noch freiwillig die Ablenkung von den Einzelheiten ihres Handwerks inszeniert und sich darin suhlt. Dies führt zu allgemeiner Lähmung gegenüber den Möglichkeiten des Mediums, zur Einengung des Handlungsrahmens a priori. Auch wegen dieser mürben Grundstimmung findet man stets mehr Argumente, Dinge nicht zu tun, als Neues in Bewegung zu setzen.

Dagegen ist Harald Schmidts Haussender SAT.1 zu loben. Gegen dessen "Event Movies" kann man einiges sagen, angefangen vom anglisierenden Rubrum über das Werbe-Getrommel bis zur Konzeption im einzelnen. "Der Tunnel" war zu lang und glatt, "Wambo" fehlte es ein wenig an dramaturgischer Fallhöhe, "Vera Brühne" wirkt bisweilen uneben und trashig, "Pakt mit dem Teufel", ein Zweiteiler über die Oetker-Entführung von Peter Keglevic, kommt fürs Privat-TV unterkühlt daher. Die Berner Zeitung "Bund" spricht von "seltsam seelenlosen Filmen", die zu "Opfern ihrer aggressiven Vermarktung" würden.

Aber es werden jetzt Stoffe angepackt, über die es sich wieder zu reden lohnt. Das geschäftliche und publizistische Wagnis und ein ernsthaftes Engagement für Zeit-Geschichten gehen bei den SAT.1-Projekten Hand in Hand. So wird plötzlich historisch-gesellschaftliche Realität ins Bewusstsein eines großen Publikums gerufen. Darin erscheint SAT.1 öffentlich-rechtlicher als die Öffentlich-Rechtlichen, dazu noch leidlich erfolgreich. Um Bernd Eichinger, Helmut Dietl und Nico Hofmann hat SAT.1 Teams gebildet, die zur Zeit die außergewöhnlichsten fiktionalen TV-Projekte in Deutschland realisieren - sieht man einmal von raren Höhepunkten wie Breloers "Die Manns" in der ARD ab. Man ist verblüfft, wenn man gewagte Szenen aus Häusern sieht, die mit der Kirch-Gruppe verbandelt sind: Sedlmayr und Strauß beim Oktoberfest-Anstich, Vera Brühne und der BND und die CSU, das mag vergangen und nicht mehr wirklich brisant sein, aber immerhin: die Politik der Privaten und das Private der Politik werden geschickt attachiert - und mit welch großartigen Schauspielern!

Hinter den Event-Filmen steckt kommerzielles Kalkül. Quiz, Reality Shows, Talk können nicht das ganze Programm ausmachen. Fernsehen wird medienökonomisch unkalkulierbar, wenn in rascher Folge ein Trend den nächsten hinwegfegt. Ein Vollprogramm für breitere Zuschauerschichten braucht publizistische Leuchttürme, um die sich die Regelformate gruppieren können. Mit seinen teuren Fernseh-Spielen ist SAT.1, das manche schon konturlos in der Kirch-Senderfamilie haben verschwinden sehen, wieder auf der Agenda von Werbern, Publizisten, nicht zuletzt von höher gebildeten Publikumsschichten, die mit dem kommerziellen Fernsehen an sich wenig anfangen können. Wenn sich der Berliner Sender noch trauen würde, in ausgesuchte dokumentarische Projekte, Reportagen und die Nachrichten zu investieren, sähe es nicht gut aus für die öffentlich-rechtliche Konkurrenz. Das alles hat natürlich seine Grenzen, "Girlscamp" ist noch nicht vergessen, und SAT.1 wird weder über Nacht noch in Zukunft die Heimstatt durchgängiger Spitzenleistungen, ganz abgesehen davon, daß sich dieses nicht rechnen würde. Doch hier hat sich ein Sender die Freiheit genommen, die "80 Prozent Müll" einfach zu vergessen und sich auf Produktionen zu konzentrieren, die es anzusehen lohnt. Wenn diese Strategie durchgehalten werden kann, wird sie weit über SAT.1 hinaus wirken.

Nächste Woche: das Lesezimmer von Rainer Mori

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