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Kultur: Fernsehzimmer: Stretch-Limo

Als Gerald "Jerry" Levin kürzlich seinen Chefsessel beim weltgrößten Medienkonzern AOL Time Warner räumte, sagte er in einem bemerkenswerten Interview mit CNN, er wolle wieder "Poesie in sein Leben bringen" und sehne sich nach einem "Zivilistenstatus". Unternehmen wie AOL Time Warner, derzeit mit der "Harry Potter"-Kampagne weltumspannend präsent, stehen für den neuen technologisch-publizistischen Komplex, also für das Zusammenschnurren von Telekommunikation, Entertainment, Journalismus und Börsenkapitalismus - in immer kürzeren Zeittakten, über immer größere Räume hinweg.

Als Gerald "Jerry" Levin kürzlich seinen Chefsessel beim weltgrößten Medienkonzern AOL Time Warner räumte, sagte er in einem bemerkenswerten Interview mit CNN, er wolle wieder "Poesie in sein Leben bringen" und sehne sich nach einem "Zivilistenstatus". Unternehmen wie AOL Time Warner, derzeit mit der "Harry Potter"-Kampagne weltumspannend präsent, stehen für den neuen technologisch-publizistischen Komplex, also für das Zusammenschnurren von Telekommunikation, Entertainment, Journalismus und Börsenkapitalismus - in immer kürzeren Zeittakten, über immer größere Räume hinweg.

Naive Affekte gegen die Lenker solcher Kolosse sollte man sich versagen. Übernationale Medienkonzerne tragen unter der grellen Maske des Glamours Wesensmerkmale aus paramilitärischen Organisationen, Männerbünden, Sekten und Controlling-Behörden. Jobs in ihren Chefetagen werden immer mit einer deutlichen Verringerung der Lebensqualität und mit Realitätsverlusten bezahlt. Nehmen wir zwei aktuelle Meldungen aus dem Bertelsmann-Konzern, (noch) der deutsche Vertreter in dieser Liga. Der Leiter der "E-Commerce-Group", Andreas Schmidt, ist von Konzernchef Middelhoff aus Gründen der "Führungshygiene" entlassen worden, weil er sich in New York trotz mehrfacher Verwarnung wieder eine Stretchlimousine bestellt hatte. Middelhoff bekommt selbst eine Sondergratifikation in zweistelliger Millionenhöhe für den Verkauf von AOL-Aktien. Der achtköpfige Bertelsmann-Vorstand hat sich 2000 / 2001 Gehaltserhöhungen von 82 Prozent genehmigt, der Vorstand kassiert jetzt insgesamt 125 Millionen Mark pro Jahr.

Dabei sieht es im realen Geschäft von Bertelsmann ziemlich trüb aus, und das nicht nur wegen der Werbeeinbrüche im gesamten Mediengewerbe. Die Buchclubs haben kaum noch Zulauf, der Internet-Markt ist im Koma, der ehedem stolze Zeitschriftenverlag Gruner & Jahr weist nur minimale Gewinne aus, das Musikgeschäft dümpelt, die RTL-Fernsehgruppe hat den Zenith ihrer Expansion erreicht. Freude kann da nur aufkommen, weil es Konkurrent Kirch noch schlechter geht - dem hoch verschuldeten Fernseh- und Filmkonzern aus Bayern droht eine unfreundliche Übernahme durch Rupert Murdochs News Corporation. Es wäre doch ein drolliges Ergebnis der desolaten deutschen Medienpolitik, wenn sich Pro 7, Sat1 und Premiere demnächst in amerikanisch-australischem Besitz befänden. Ihre Sendungen würden dann über Kabelnetze verteilt, die gerade von der Telekom an US-Investoren verkauft wurden. Die Prognose scheint nicht zu gewagt, dass in fünf Jahren in den medialen Leitindustrien deutsche Medienkonzerne keine Rolle mehr spielen.

Über die Ursachen für diese Entwicklung, die Kumpanei der Inkompetenz zwischen Medienkonzernen und der ihnen nach- und beigeordneten Politik muss gesondert verhandelt werden. Es verwundert aber, wenn im Zuge der missratenen Intendantenwahl beim ZDF das Heil starrsinnig von einem "Medien-Manager" der angeschlagenen kommerziellen Film- und Fernsehwirtschaft erwartet wird. Gegen die Zustände bei Kirch und Bertelsmann ist das ZDF bei aller bürokratischen Überlast a clean and well lighted café, stabilisierender Faktor der nationalen Medienindustrie. Natürlich sind Personaltransfers zwischen Unternehmen der freien Wirtschaft und dem öffentlich-rechtlichen Bereich erwünscht, natürlich muss das etwas behäbige ZDF reformiert werden (zuallererst wohl seine politischen Aufsichtsgremien), aber die monomane Mythisierung irgendwelcher Manager-Typen verrät eine tiefe Unkenntnis über das Mediengeschäft. Der Eigensinn des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist mit kundigen Persönlichkeiten zu entwickeln, deren Erfolgsvorstellungen sich nicht an den Kriegsmetaphern der großen Konglomerate orientieren.

Es wäre eine mentalitätshistorische Untersuchung wert, warum gerade der technokratische Flügel der Sozialdemokratie der Vorstellung anhängt, Kreativität und Charisma seien wesenhaft in den Führungsetagen der big players zu Hause. Vielleicht ist es die verständliche Verzweiflung über die Sperrigkeit der eigenen politisch-bürokratischen Institutionen, vielleicht die Scham über die jahrzehntelange politische Misshandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, vielleicht die Identitätskrise der Sozialdemokratie in einer Gesellschaft der bourgeois bohemians ... Sicher ist jedenfalls, dass zivilisiertere Umgangsformen und etwas mehr Poesie auch der diskreditierten Medienpolitik weiterhelfen würden.

Nächste Woche: Diedrich Diederichsens Musikzi

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