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Kultur: Fernstenliebe

Richard Schröder über die neue deutsche Hilfsbereitschaft Früher einmal stand man in Deutschland innerlich stramm, wenn das Wort „Deutsch“ ertönte. Diese Haltung hat spiegelbildliche Nachfolger gefunden.

Richard Schröder über die neue deutsche Hilfsbereitschaft

Früher einmal stand man in Deutschland innerlich stramm, wenn das Wort „Deutsch“ ertönte. Diese Haltung hat spiegelbildliche Nachfolger gefunden. Sie geraten in Empörung, wenn sie lesen „Deutsche helfen Deutschen“. Caroline Fetscher gehört zu ihnen. „Wo Deutsche Deutschen helfen, sind die Flutopfer in Ungarn, Österreich oder Tschechien irrelevant - ganz zu schweigen vom gegenwärtigen China oder den alljährlich in Indien oder Bangladesh wiederkehrenden Fluten.“ Wenn Nachbarn Nachbarn helfen bei dieser Flut, haben sie allerdings wenig Zeit und Kraft, an China und Indien zu denken. Wollten sie nach Indien fahren, um dort Sandsäcke zu stapeln, müssten sie darauf verzichten, dem Nachbarn zu helfen. Niemand kann den Fernsten ebenso effektiv helfen wie den Nächsten. Deshalb das Gebot der Nächstenliebe. Es ist ganz in der Ordnung, dass ich mich um meine Kinder intensiver kümmere als um andere, denn ich bin ihr einziger Vater. Die Fernstenliebe ist im Unterschied zur Nächstenliebe zumeist nur ein erhebendes Gefühl. „Seid umschlungen, Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt“ – nicht einmal dieser Kuss kommt bei den Millionen wirklich an!

Wenn Bürger Bürgern helfen, ist es ebenso. Sie können, weil sie in einem gemeinsamen Staat leben, den Betroffenen durch eine Verschiebung der Steuersenkung helfen. So jedenfalls können wir Indien und China nicht helfen. Und wollten wir dasselbe Geld nach China und Indien überweisen, wäre den Opfern hier eben nicht geholfen. Wir sind aber ihre einzigen Mitbürger. Steuergelder aus China können sie nicht erwarten. Wenn Deutsche Deutschen helfen, ist das deshalb nicht selbstverständlich, weil jemand ja auch sagen könnte, was gehen mich die im Osten an, ich bin Hesse oder Westdeutscher, und PDS-Wähler unterstütze ich nicht. Es liegt in der menschlichen Endlichkeit und Leiblichkeit begründet, dass es Zuständigkeitsordnungen der Hilfe und Solidarität geben muss. Zuerst sind wir gefordert vor Ort. Es ist aber außerdem einfach falsch, dass, wenn Deutsche Deutschen helfen, ihnen deshalb Notleidende außerhalb der Grenzen irrelevant sind. So ist es nicht, schon gar nicht muss es so sein. Die Hilfe, die den Fernsten zukommen kann, ist aber immer indirekt, durch hohen organisatorischen Aufwand erschwert und kann nie denselben Umfang erreichen wie innerstaatliche oder innereuropäische. Sie ist aber steigerungsfähig. Caroline Fetscher wettert gegen Sätze, die gar nicht in der Zeitung standen: Deutsche dürfen nur Deutschen helfen - und nicht Ausländern im Land - und nicht Menschen in anderen Ländern. Wenn wir so etwas lesen, werden wir alle auf die Barrikaden gehen. Der Satz „Deutsche helfen Deutschen“, der ja eine Tatsache wiedergibt, verdient keine Empörung. Solche Empörung rechne ich der Gespensterfurcht zu, und die ist ein Indiz für innere Unfreiheit. Außerdem ist mir die moralistische Sprachpolizei lästig.

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