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Kultur: Fernwirkung mit Mickymaus-Ohren

Die Frankfurter Schirn Kunsthalle widmet sich dem wenig erforschten Volk der Kelten

Von Christian Huther

Die Liste der Rätsel um das sagenumwobene Volk wird immer länger. Denn die im ersten Jahrtausend vor Christus auftauchenden und um die Zeitenwende zurückgedrängten Kelten hinterließen keine schriftlichen Zeugnisse. Da die wenigen Erwähnungen von den feindlichen Griechen und Römern nicht zuverlässig sein dürften, stützt sich unser Wissen nur auf archäologische Objekte. Seit den sensationellen Funden nordöstlich von Frankfurt am Main haben die Forscher neuen Auftrieb erhalten. So wurde 1994 in einem sieben Meter hohen und fast 50 Meter breiten Hügel das mit kostbaren Beigaben ausgestattete Grab eines keltischen Fürsten gefunden. 1996 legte man eine rund 2500 Jahre alte und lebensgroße Sandsteinstatue frei, der nur die Füße fehlen. Mit Fug und Recht wird diese vollplastische Darstellung eines waffentragenden und geschmückten Mannes als Jahrhundertfund bezeichnet, handelt es sich doch um die prächtigste frühkeltische Großskulptur.

Der „Keltenfürst vom Glauberg“ ging inzwischen in vielen Fotos um die Welt, auch wegen seines als Mistelkrone oder Mickymaus-Ohren bezeichneten und bisher nicht eindeutig geklärten Kopfschmucks. Nun hat er seinen ersten öffentlichen Auftritt in der Frankfurter Schirn Kunsthalle. Um ihn scharen sich 900 Objekte aus 60 europäischen Museen. Die bisher größte Schau über die Keltenkultur seit Venedig 1991 dokumentiert neben der Glauberg-Entdeckung 160 weitere Fundkomplexe. Hessen lag um 500 vor Christus am Rand der Keltensiedlungen, die Zentren waren im heutigen Süddeutschland und in Ostfrankreich.

Der Glauberger Fürst und spätere Generationen wurden reich durch die fast industrielle Salzgewinnung im nahen Bad Nauheim. Folglich verfügten die Kelten durchaus über eine Hochkultur, kannten durch Wanderungsbewegungen und Fernhandel wohl auch die Schrift. Vielleicht, so eine von vielen Mutmaßungen, wandten sie die Schrift nicht an, da sie nicht im Einklang mit ihrer mythischen Vorstellungswelt stand. Ungeklärt ist beispielsweise auch, welche Herrschaftsstrukturen die Kelten hatten und welche Götter sie verehrten.

Die Ausstellung stützt sich auf die aktuelle Forschungslage, geht eingangs der bruchstückhaften keltischen Historie nach, berichtet von der kurzfristigen Eroberung Roms 387 vor Christus, aber auch vom allmählichen Zerfall der Kelten durch die rivalisierenden Stämme. Geschichte wird sinnlich aufbereitet. Im großen Saal scheint eine Konferenz der einstigen Herrscher einberufen: 40 Statuen aus frühkeltischer Zeit stehen zusammen mit dem Glauberg-Fürsten im Kreis, darunter der „Krieger von Capestrano“ mit überdimensionalem Hut und der athletische „Kouros von Anavyssos“, die den Kelten als Vorbilder dienten. Doch der um 500 vor Christus entstandene und bei Ludwigsburg gefundene „Mann von Hirschlanden“ zeigt an typischen keltischen Standeszeichen große künstlerische Eigenständigkeit. Dagegen erweckt die nur grob gearbeitete Glauberg-Skulptur den Eindruck, dass sich der Bildhauer keine sonderliche Mühe gegeben hat. Vermutlich stand die Skulptur auf dem Grabhügel, war auf Fernwirkung angelegt und erforderte kaum Feinarbeit.

Vieles ist aus Gold wie der filigran verzierte Halsschmuck, Ohrringe, ein Armreif, ein Fingerring und eine bronzene Schnabelkanne. Diese in einer Grabkammer aus Holz aufbewahrten Attribute finden sich überraschenderweise auch eingeritzt auf der Glauberg-Statue. Die Schau klingt aus mit einer Rekonstruktion der einstigen Macht- und Kultstätte am Glauberg und vereint vier auf einem Grabhügel platzierte Kopien des „Keltenfürsten“ vor einer Sonnenuntergangskulisse. Ob dieser heilige Bezirk tatsächlich so ausgesehen hat, wie ihn die Schirn zeigt, weiß indessen niemand.

Frankfurt/Main, Schirn Kunsthalle, bis 1. September. Katalog 24,90 €.

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