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Alles frisch. Rose Beermann und Iva Sveshtarova bei ihrer Performance "Strip Naked, Talk Naked.

© Gerhard F. Ludwig_www.fotofisch-

Festival "Freischwimmer" in Berlin: Sagen, was geil ist

Nackte Tatsachen: Unter dem Motto "Intim" trifft sich die freie Szene in den Sophiensälen. Dabei stellen die Performer nicht nur sich selbst, sondern auch die Erwartung des Publikums bloß.

Im Scheinwerferkegel auf der leeren Bühne stehen zwei nackte Damen. Vor ihnen, auf bequemen Stühlen, sitzen zwei angezogene Herren. Die Frauen schweigen, die Männer schauen. Und reden. Das Ganze ist aber keine Peepshow, sondern das nachspielende Reenactment einer dänischen Fernsehsendung namens „Blachman“. Sie wird seit 2013 ausgestrahlt und funktioniert nach einem sehr einfachen Prinzip: Vor den Moderator und einen männlichen Gast tritt eine Namenlose, legt den Bademantel ab und setzt sich stumm der Betrachtung aus. Ein sexistisches Format? Findet Blachman nicht. Der gelernte Jazzmusiker und „X Factor“-Juror sieht vielmehr den modernen Mann in der Krise. Einen, der „vor Langeweile in den Aschenbecher pinkelt, während seine Frau auf Geschäftsreise ist“. Einen, der gefangen ist im Spannungsfeld aus Porno und politisch korrektem Puritanismus. Helfen soll hier die „Repositivierung des männlichen Blicks auf die Frau“. Also: einfach mal sagen dürfen, was geil ist.

„Intim“ lautet das Motto des diesjährigen Freischwimmer-Festivals, das die Sophiensäle zusammen mit den Instutionen FFT Düsseldorf, Mousonturm Frankfurt, Gessnerallee Zürich und Brut Wien ausrichten. Die freie Szene hat lange genug das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem ausgeleuchtet. Jetzt soll’s mal richtig unter die Haut gehen.

Die Performerinnen Iva Sveshtavora und Rose Beermann stellen die geschlechterdiskursive Schaulust-Show „Blachman“ mit Daniel Hinojo und Sebastian K. König auf Betrachterseite unter dem Titel „Strip Naked, Talk Naked“ nach. Schon klar, worauf das zielt: Eigentlich entblößen sich hier die Redenden. Stimmt, von philosophischer Brillanz sind die Einlassungen über Muttis kleine Zehen, die erotische Melancholie des Ohrs oder das Mysterium weiblicher Geschlechtsteile nicht gerade. Und man möchte sich auch das deutsche Pendant zu einer solchen Sendung nicht vorstellen, die vermutlich von Peter Sloterdijk, Matthias Matussek oder Maxim Biller moderiert würde.

Bloß haben Sveshtarova und Beermann offenbar Sorge, ob ihre Message auch ankommt. Weswegen sie der Wiederinszenierung der Idee (aufgepeppt mit lustigen Brustschmuck-Tänzen) einen etwas lahmen Erklärteil hinterherschieben. Bei aller auch unfreiwilligen Komik trifft das „Blachman“-Konzept tatsächlich einen Nerv, offenbar auch bei den Performerinnen. Sonst hätten sie sich wohl kaum dafür ausgezogen.

In den Sophiensälen wird eine Maus präpariert

Anders nackt will sich Performer Stephan Stock zeigen. Der hat sein Stück „Theater der Peinlichkeit“ genannt und kreist eine Stunde lang ziemlich gnadenlos um sich selbst. Es geht um scheiternde Nähesuche auf Chatroulette – um die Masken, hinter denen wir uns nicht nur als Teilnehmer von Fantasyspielen im Internet tarnen. Und ganz grundsätzlich um das Problem, sich auf der Bühne schutzlos zu zeigen. Dafür hat Stock sich während der Proben weinend, hadernd und wütend gefilmt. Auch die Performance wird per Live-Video unentwegt gespiegelt. Eine Oberflächen-Produktion, die weder peinlich noch wahrhaftig werden will. Das ist nicht schlecht überlegt. Aber es erinnert doch manchmal sehr an Schlingensief. Wie der es in seinen besten Momenten aushielt, sich ohne Auffangnetz einem Publikumszorn auszusetzen. Eben wirklich: eine Pein.

Manches von dem, was in der zweiten Hälfte des achttägigen Freischwimmer-Festivals läuft, klingt da schon vielversprechender. Etwa die Performance „SunBengSitting“ des Oberösterreichers Simon Mayer, der sich unbekleidet mit Volkstanz und Brauchtum seiner Region beschäftigen wird. Oder die „Dance Box“ von Tümay Kilinçel und Jungyun Bae – ein Wohnwagen, in dem man Privattänze ordern kann, online. Von wegen Intimität.

Allerdings hatte die Festivaleröffnung selbst noch einen ganz besonderen Moment. Der Performer Hendrik Quast erzählt in „Mohrle“ eine grausame, aber großartige Fabel. Im Katzenkostüm trällert der Mann die Evergreens aus Andrew Lloyd Webbers Musical „Cats“, während er anderthalb Stunden lang ein tote Maus präpariert. Die soll nämlich in Rolle und Kostüm der Glamour-Katze Grizabella schlüpfen. Und bekommt, während ihr mit dem Skalpell das Fell abgezogen wird, von Kater Quast zärtliche Regieanweisungen eingeflüstert: „Du bist die Ausgestoßene, die ein Zuhause sucht“. Schön anzusehen ist diese blutige Live-Präparation nicht. Aber mit welcher Konsequenz hier von den Schrecken eines Einfühlungstheaters erzählt wird, das vom Schauspieler verlangt, sein Innerstes nach außen zu kehren, das trifft tatsächlich ins Mark. Exakt dies ist der Preis für die viel beschworene intime Beziehung zwischen Künstler und Publikum.

Sophiensäle, bis 25. Oktober 2014.

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