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Das Kriegsopfer kümmert sich um die Versehrten: Viktoria Miroshnichenko im russischen Drama „Beanpole“.

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Festival "Around the World in 14 Films": Zum Jahresende das Filmfestival der Jahrgangsbesten

Bei „Around the World in 14 Films“ in Berlin laufen die neuen Filme von Terrence Malick, Shia LaBeouf und Kristen Stewart.

Von Andreas Busche

Ein schweres, asthmatisches Atmen legt sich über die schwarze Leinwand, unterlegt von einem sinustonartigen Drone, wie ein Tinnitus. Es ist die erste Sinneswahrnehmung in Kantemir Balagows grandiosem zweitem Spielfilm „Beanpole“, der dieses Jahr in Cannes die Reihe „Un Certain Regard“ eröffnete. Iya, die Hauptfigur, steckt in einer Schockstarre, Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs bei ihr ausgelöst haben. Ihre Kolleginnen in einem Kriegsspital im Leningrad der Nachkriegsjahre, haben sich mit der Krankheit der jungen Frau arrangiert. Sie lassen sie einfach in Ruhe, bis sich die Starre wieder löst.

Balagow, ein Schüler des russischen Regieveteranen Alexander Sokurow, gehört schon jetzt zu den aufregendsten Regisseuren im europäischen Kino. „Beanpole“, Bohnenstange, der Spitzname seiner hochgewachsenen Titelheldin (mit apathischer Feinnervigkeit von der Debütantin Viktoria Miroshnichenko gespielt), ist ein Highlight der diesjährigen Ausgabe von „Around the World in 14 Films“, der längst zur Institution gewordenen Rückschau mit den herausragenden Filmen des Festivaljahres. Balagow entwirft ein Nachkriegsrussland wie ein großformatiges apokalyptisches Gemälde: mit Interieurs, die von orange-rot bis grünlich-braun glimmen und vom grellen Krankenhauslicht an Iyas Arbeitsplatz kontrastiert werden.

Das Kriegsdrama "Beanpole" sollte man nicht verpassen

Die Bohnenstange, selbst ein Opfer des Krieges, muss sich um die Kriegsversehrten kümmern – und um Pashka, den dreijährigen Sohn ihrer besten Freundin Masha (Vasilisa Perelygina), die an der Front zurückgeblieben ist.Manchmal nimmt Iya den Jungen mit zur Arbeit, aber die Kinderspiele, die die Verkrüppelten und Kranken mit ihm veranstalten, haben ihre Unschuld verloren. Auf die Aufforderung, einen Hund nachzumachen, reagiert Pashka nicht. „Wie soll er denn wissen, wie ein Hund macht?“, meint einer der Männer, „wir haben sie doch alle aufgegessen.“

Wie Iya und Masha sich in dieser hoffnungslosen Welt ohne jede innere oder äußere Ordnung behaupten, gemeinsam, gegen alle Widerstände, gehört zu den eindrucksvollsten Erlebnissen dieses Kinojahres. Das Festival in der Kulturbrauerei dürfte auch die einzige Gelegenheit bleiben, Balagows bildgewaltiges Werk auf der großen Leinwand zu sehen.

Andere Filme, wie Terrence Malicks „Ein verborgenes Leben“, der Quasi-Thriller „La Gomera“ von Rumäniens Corneliu Porumboiu, Pietro Marcellos meisterhaftes Historientableau „Martin Eden“ oder das Biopic "Seberg", in der Kristen Stewart die amerikanische Ikone Jean Seberg spielt, haben bereits einen deutschen Starttermin. Ein besonderes Highlight ist auch Shia LaBeoufs exzentrisches Drehbuchdebüt "Honey Boy" (Regie: Alma Ha‘rel) über einen ehemaligen Kinderstar.

Empfehlenswert sind wie immer die Beiträge vom (aus eurozentrischer Sicht) „Rand“ des Weltkinos wie „Song Without a Name“ von der Peruanerin Melina León oder der Pampa-Survivalthriller „Bacurau“ des brasilianischen Regisseurs Kleber Mendonça Filho – längst eine Größe im Weltkino, hierzulande dennoch sträflich verkannt. Auch die Idee mit den Filmpaten, die je einen der 14 Beiträge im Hauptprogramm präsentieren (plus 14 weiteren Titeln in Nebenreihen), hat sich längst bewährt. In diesem Jahr sind unter anderem Emily Atef, Jakob Lass, Jan-Ole Gerster und Tagesspiegel-Redakteurin Christiane Peitz dabei.
Vom 21. bis 30. November, Kino in der Kulturbrauerei

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