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Schockstarre überwinden. Die Tänzer von Saburo Teshigawaras Compagnie KARAS. Foto: Eventpress Hoensch

© Eventpress Hoensch

Festivalauftakt: Leben nach der Katastrophe

Saburo Teshigawara eröffnet den „Tanz im August“ – und das Festival ringt um seine Zukunft.

Von Sandra Luzina

Nach Fukushima schaut man anders auf dieses Stück. Mit „Mirror and Music“ hat Saburo Teshigawara das Festival „Tanz im August“ eröffnet. Seine Choreografie für acht Tänzer entstand bereits 2009, doch nach der Atomkatastrophe im vergangenen Jahr hat die Performance eine andere Dringlichkeit bekommen. Kurz vor der Berliner Premiere im Haus der Berliner Festspiele sagte der japanische Choreograf dem Tagesspiegel: „Meine Gefühle haben sich verändert nach der Atomkatastrophe von Fukushima, nicht nur beim Tanzen, sondern auch im täglichen Leben. Das Stück hat nun eine Widmung bekommen – es ist ein Gedenken an all diejenigen, die ums Leben gekommen sind.“

Die Aufführung beginnt mit einer Art Schockstarre wie nach einer Katastrophe. Flackerndes Stroboskoplicht lässt die Gesichter von zwei Tänzern in Kapuzenmäntel jäh aufblitzen. Zu dröhnenden Industrialsounds umrahmen bewegliche Lichtbänder die Schwärze – man fühlt sich hineingesogen in ein unheimliches Nichts. Körper, die aufscheinen und verlöschen. Die sich krümmen und zucken wie unter Strom. Immer wieder gelingen dem Japaner solche gespenstischen Bildfolgen, die daran gemahnen: Der Mensch hat längst die Kontrolle über die Technik verloren.

Auch das erste lange Solo des 58-jährigen Teshigawara kündete von einer tiefen Verunsicherung. Zu tröpfelnder Klaviermusik greifen seine Arme aus ins Unbekannte. Er scheint gegen eine unsichtbare Gefahr anzukämpfen. Doch die Linien brechen ab, er schlingert, verdreht die Glieder, öffnet den Mund zu einem stummen Schrei. Alle Form wird aufgelöst, Teshigawara tanzt seinem eigenen Verschwinden entgegen.

Bildergalerie: Tanz im August

Sabura Teshigawara arbeitet mit harten Kontrasten – optisch und akustisch. Zu barocken Tänzen von Buxtehude wirbeln die Frauen und Männer wie befreit über die Bühne, schwingen die Arme wie Flügel und scheinen von einem Atem getragen. Eine Euphorie, die gar kein Ende zu nehmen scheint. Herausragend die schwarzgekleidete Rihoko Sato in ihrem gebändigten Furor – sie wird dann zum Menetekel, während er zuckend auf dem Boden liegt. Ein elektronischer Sturm hat alle Anmut und Leichtigkeit hinweggefegt. Doch der Gegensatz von Barockidylle und katastrophischer Moderne wirkt arg konstruiert.

Bachs geistliches Lied „Komm süßer Tod“ wird am Schluss von einem anhaltenden Sirenenton überlagert. Die Tänzer laufen lange auf der Stelle mit schlenkernden Armen – nacheinander werden sie von der Finsternis verschluckt – bis auf zwei Frauen, die dem Unfassbaren trotzen und am Rand der Bühne Wache halten. Als würde er jedoch dieser Schlussszene nicht trauen, schickt Teshigawara noch ein Epitaph gleich hinterher. Wenn ihre Köpfe ein letztes Mal im Dunklen aufleuchten, ist den Tänzern der Schrecken ins Gesicht gemalt.

„Mirror and Music“ ist ein düsteres Tanz-Requiem und eine verstörende Reflexion über unsere Zeit. Teshigawara hat wiederum bewiesen, dass er ein ungemein expressiver Interpret ist. Der japanische Meister und seine Compagnie Karas wurden zu Recht gefeiert.

Begonnen hatte die Eröffnung der 24. Ausgabe von „Tanz im August“ mit einer Verabschiedung – ein unglücklicher Schachzug von drei der fünf Kuratoren. Pirkko Husemann, die zum Team des scheidenden HAU-Chef Matthias Lilienthal gehörte, nimmt nach vier Jahren ihren Hut, ebenso Marion Ziemann, die von Anfang an dabei war. Ungewiss ist die Zukunft der beiden Ko-Leiter, Ulrike Becker und André Theriault von der Tanzwerkstatt Berlin. Das Positionspapier, das die beiden erarbeitet haben, macht derzeit die Runde. Nun wollten sie wohl die Gelegenheit beim Schopf ergreifen: Anstatt auf die Künstler einzustimmen, hoben sie nur die eigenen Verdienste hervor. Eine peinliche Performance, die bei der Berliner Tanz-Community gar nicht gut ankam. Deutlich wurde: Der Kampf um die Posten ist entbrannt. Mit der neuen Intendanz von Annemie Vanackere im HAU stehen auch Veränderungen beim „Tanz im August“ an. Kritik an dem Fünfer-Direktorium wurde schon länger geäußert, nun wird der Ruf nach einem neuen, unabhängigen Kurator lauter. Neben Premieren ist also auch für Diskussionen beim Festival gesorgt.

bis 25.8., in Kooperation mit dem Tagesspiegel berichten junge Kulturjournalisten übers Festival: www.tanzimaugust-blog.de

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