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Kultur: Feuerzauber? Sparflamme!

Wagner in Weimar: Carl St. Clair, bald Chefdirigent der Komischen Oper, dirigiert die „Walküre“

Was weder die Kunst selbst noch die Grabenkämpfe um die Eigenständigkeit des Deutschen Nationaltheaters bewirken konnten, gelingt einer bloßen Personalie: Die Berufung von Generalmusikdirektor Carl St. Clair zum neuen Chefdirigenten von Berlins Komischer Oper ab 2008/ 2009 hat das überregionale Interesse am neuen Weimarer „Ring“ sprunghaft erhöht. Während der Texaner sich die letzten anderthalb Jahre im Halbschatten der Provinz in aller Ruhe in das für ihn weitgehend neue Fachgebiet Oper einarbeiten konnte, liegt sein kapellmeisterliches Handwerk nun plötzlich auf dem Präsentierteller, ist jede Premiere zugleich ein Stück Eignungstest für den Hauptstadtposten.

Dass der Prüfstein ausgerechnet Wagner ist, die Paradedisziplin deutschen Kapellmeistertums, macht die Sache nicht einfacher. Schon im ersten Akt der „Walküre“ am Nationaltheater Weimar wird klar, dass der 54-Jährige noch nicht die volle Souveränität besitzt, um Wagners Gefühlsdramaturgie im Fluss zu halten. Statt die Spannungsschraube durch subtile Tempowechsel unmerklich anzuziehen und das Wälsungenpaar in die emotionale Ekstase zu treiben, sorgt St. Clair hauptsächlich für den Gleichschritt von Bühne und Orchester. Wagner zu Fuß – das Charisma, das der amerikanische Dirigent im Konzertsaal besitzt, muss er sich in der Oper wohl noch erarbeiten. Würden da nicht immer wieder einmal sehrende Melodielinien wie heißglühende Drähte aus dem Orchestergraben heraufleuchten und die Szene für Momente unter Spannung setzen, könnte einem tatsächlich mulmig werden bei dem Gedanken, dass St. Clair bald an der Spitze eines Berliner Opernhauses stehen soll. Ein Abenteuer wird das allemal.

Über vier Stunden Wagner im Gleichmaß regelmäßigen Taktierens: Das ermüdet irgendwann. In den ohnehin recht heiklen, langen Erzählungen des zweiten Aktes versinkt die Musik über weite Strecken in die Bedeutungslosigkeit, die an sich recht tonschöne Weimarer Staatskapelle stellt die Sänger bloß noch auf weite, plane Klangflächen und lässt sie dort allein. Für den Feuerzauber bleibt am Ende nur noch Sparflamme.

Dass diese Schwächen schonungslos offenbar werden, liegt freilich auch daran, dass auf der Bühne nichts passiert, was von der Konzentration auf die Musik ablenken könnte. Weimars Operndirektor Michael Schulz hat der „Walküre“ einen rigorosen Minimalismus verordnet. Dirk Beckers Bühne besteht im Wesentlichen aus einem schmucklosen weißgrauen Raum, nur die gelben Etagenbetten, auf denen sich Wotans Mädels zu ihrem Walkürenritt eine Kissenschlacht liefern, sorgen für einen frechen Farbklecks. Ein Familiendrama soll hier erzählt werden – so deutet es schon die vorangestellte Hausmusikszene mit Wagners allererster Vertonung der Nornen- Musik an. Doch trotz präziser Personenführung und einiger origineller Einfälle (Brünnhildes Ross Grane als altes Kindermädchen) kann Schulz nicht erklären, was diese Menschen und Götter in ihrem Innersten bewegt.

Das können die Sänger allein auch nicht: Catherine Fosters damenhafte Brünnhilde, Renatus Mészárs leider durch Heuschnupfen gehandicapter Wotan, das Geschwisterpaar Siegmund (tonschön und textdeutlich: Christian Elsner) und Sieglinde (Nicola Beller Carbone) führen zwar eindrucksvoll vor, dass Weimar nach wie vor das einzige Thüringer Opernhaus ist, das in der ersten Liga der deutschen Stadttheater mithalten kann. Doch das ist eher für die Kulturpolitik von Bedeutung als für die Wagner-Rezeption.

Jörg Königsdorf

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