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Ich, Palästinenser? Joseph (Jules Sitruk) ist als Jude aufgewachsen.

© Film Kino Text

Film „Der Sohn der Anderen“: Familienaufstellung, die zweite

Irrwitz in Israel: „Der Sohn der Anderen“ erzählt von einem Palästinenser und einem Juden, die als Babys vertauscht wurden. Als der Fehler bekannt wird, begeben sich die beiden Jungen auf die Suche nach ihrer Identität.

Vertauschte Babys sind im Kino ein nicht gar so seltenes Thema. Ein Film aber darüber im heutigen Israel, mit einer Verwechslung zwischen Juden und Palästinensern? Höchst ungewöhnlich. Und problematisch, schließlich liegt Gefahr nahe, mit politischen Grobklischees zu hantieren.

Joseph Silberg (Jules Sitruk), Sohn einer wohlhabenden israelischen Familie mit französischem Migrationshintergrund, freut sich, zur Armee eingezogen zu werden. Zu einer Elite-Kampfeinheit sogar. Der Vater ist hochrangiger Offizier im Verteidigungsministerium, da sollte das kein Problem darstellen. Doch Josephs Träume werden abrupt zerstört – durch einen Bluttest. Er ist nicht das biologische Kind von Orith und Alon (Emmanuelle Devos und Pascal Elbé). Im Evakuierungschaos des 1991 bombardierten Krankenhauses von Haifa wurde Joseph versehentlich mit einem am selben Tag geborenen Baby vertauscht – mit Yacine (Mehdi Dehbi), dem Sohn der Palästinenser Leila und Said Al-Bezaaz (Areen Omari und Khalifa Natour).

Angesichts eines derartig grotesken Zufalls hätte „Der Sohn der Anderen“ durchaus in eine Satire oder gar grelle Farce münden können. Die französische Regisseurin Lorraine Lévy erkundet jedoch lieber, unterstützt durch nuanciert agierende Schauspieler, den komplizierten Bewältigungsprozess, den die späte Aufklärung des Irrtums in den betroffenen Familien auslöst. Die Väter sind fassungslos. Der introvertierte Said zieht sich zurück. Alon, ein Militär durch und durch, gerät in Wut, schließlich verachtet er die Araber auch gewissermaßen beruflich.

Ähnlich aufbrausend reagiert der Palästinenser Bilal (Mahmood Shalabi), der Yacine bislang für seinen biologischen jüngeren Bruder hielt. Der Nationalist, der nur Besatzer und Besetzte kennt, ist zudem in seinem Egoismus getroffen. Was, wenn Yacine nun seinen orangefarbenen Pass gegen den israelischen blauen tauscht, um dort zu wohnen, wo zwischen ihm und dem Meer endlich keine Checkpoints mehr stehen – eine Bewegungsfreiheit, die auch Bilal selber gerne einmal hätte?

Es sind dann die Frauen, die die Familien zusammenbringen müssen. Im Presseheft verkündet die Regisseurin kühn, die Frau sei „die Zukunft des Menschen“. Tasächlich aber propagiert sie ein uraltes patriarchalisches Rollenbild: Frauen werden allein von ihren Emotionen geleitet, während Macho-Männer, sollte es im Gefühlshaushalt mal brenzlig werden, am liebsten ihre Autos waschen oder reparieren. Und als Joseph gegenüber einem Mädchen, das ihn trösten will, sexuell übergriffig wird, wird das dramaturgisch damit entschuldigt, er sei ja so aufgeregt. Und das von einer Regisseurin!

Was heißt Identität?

Immerhin: Yacine und Joseph beginnen eine Beziehung zueinander und zur jeweils anderen Familie aufzubauen. Dazu müssen sie auch für sich selbst ergründen, was Identität bedeutet – eine Frage, die sich für Joseph doppelt stellt. Während Yacine in den Augen des Islam immer Muslim bleibt, verliert Joseph sein Judentum. In Israel, wo viele Gesetze nach der Orthodoxie geregelt sind, kann das für ihn, etwa bei einem Heiratsplan, schwerwiegende Folgen haben.

Gelöst wird nichts. Auch muss die Verwechslung der Söhne im Umfeld beider Familien streng geheim bleiben – was würde passieren, wenn die palästinensischen Nachbarn, Alons Untergebene oder Josephs wehrdienstfreudige gute Freundin davon erfahren? Dennoch zielt der Film auf ein Happy End, das Nächstenliebe predigt. Die Realität des Nahen Ostens kehrt er damit allerdings unter den Teppich. Die Regisseurin verkündet prompt, keinen politischen Film gemacht zu haben. Nur was versteht sie dann unter politisch?
OmU: Filmkunst 66, Hackesche Höfe

Alexandra Belopolsky

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