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Film: Ein bitterer Liebesbrief

Jugoslawien kurz vor dem Kriegsausbruch: Regisseur Danis Tanovic und seine Tragikomödie „Cirkus Columbia“

Boni ist weg. In der Nacht hat sich der schwarze Kater davongeschlichen. Sein Besitzer Divko (Miki Manojlovic) ist untröstlich. Gerade schien doch noch alles so gut für ihn zu laufen: Nach 20 Jahren ist er im Sommer 1991 aus Deutschland in sein herzegowinisches Heimatdorf zurückgekehrt – reich, mit schickem Auto und junger Geliebter. Und jetzt läuft ihm sein Glückskater davon! Weil er ihn unbedingt wiederhaben will, hängt er überall im Ort Zettel auf. Unter einem Foto des Katers verspricht er dem Finder von Boni eine Belohnung von 2000 Mark.

Die gleichen Plakate tauchten im Sommer 2010 auch in der Innenstadt von Sarajevo auf. Nur dass es diesmal nicht zu größeren Suchaktionen kam, denn die Fahndung nach dem Vierbeiner erwies sich als Werbegag für „Cirkus Columbia“. Der Film eröffnete letztes Jahr das Filmfestival in der bosnischen Hauptstadt und gewann souverän den Publikumspreis. Ein Heimspiel für Regisseur Danis Tanovic, der hier so etwas wie Superstar-Status genießt, seit er vor neun Jahren mit dem Kriegsdrama „No Man’s Land“ den Auslandsoscar gewann. Auch 2011 wird er auf dem Festival umgehend von einheimischen Radio- und Fernsehteams umlagert. Obwohl er diesmal nur mit einem Kurzfilm dabei ist, wollen alle ein Statement des 42-Jährigen mit den dichten Locken.

Ein paar Tage später sitzt Danis Tanovic in einem Straßencafé und erzählt von seinem vierten Spielfilm „Cirkus Columbia“, der nun auch den Weg in die deutschen Kinos gefunden hat. „Es ist ein Liebesbrief an ein Land, das es einmal gab, und ein bitterer Brief an die Generation meiner Eltern, die diese Dinge hat geschehen lassen.“ Er meint die Balkankriege der neunziger Jahre und den Zerfall Jugoslawiens. Die Leinwandadaption des Romans von Ivica Djikic – mit dem er gemeinsam das Drehbuch schrieb – spielt 1991 kurz vor Ausbruch des Krieges.

In Divkos Dorf haben die ersten Veränderungen bereits stattgefunden. Der neu gewählte Bürgermeister sieht sich als Vertreter der kroatischen Sache und befiehlt den Polizisten, die jugoslawischen Hoheitszeichen von ihren Kappen zu entfernen. Anstelle des roten Sterns ist jetzt das rot-weiße Schachbrett angesagt. Divko hat damit zunächst wenig zu schaffen. Ihm ist nur wichtig, dass der Bürgermeister, ein alter Freund von ihm, seine Noch-Ehefrau Lucija (Mira Furlan) und den gemeinsamen Sohn Martin (Boris Ler) aus seinem Haus wirft. Das geschieht, und Divko zieht mit seiner hübschen Freundin ein.

Foto: dpa/p-a
Foto: dpa/p-a

© picture alliance / dpa

Tanovic verwendet in seinem leise von der Komödie ins Drama kippenden Film viel Mühe darauf, die nachbarschaftliche und sommerliche Idylle des Orts heraufzubeschwören. Ja, „Cirkus Columbia“ sei altmodisch und melancholisch, sagt der Regisseur. Möchte man ihn jedoch dem derzeitigen Jugo-Nostalgie-Trend zuordnen, wehrt er ab. „Das ist keine Jugo-Nostalgie, sondern Sehnsucht nach einer normalen Gesellschaft. Jugoslawien war ein großes Land, die Kunst war größer. Es hat viele Vorteile, in einem größeren Land zu leben. Ich leide aber nicht, weil es das Land nicht mehr gibt, sondern weil heute im Vergleich zu damals nichts mehr normal ist. Ich lebe in einem unnormalen Land. Indem ich die Leute an damals erinnere, versuche ich, über die Zukunft zu sprechen.“ So ist „Cirkus Columbia“ beseelt vom Wunsch nach einer offenen Gesellschaft, in der Unterschiede als Bereicherung und nicht als Bedrohung wahrgenommen werden. In einem derart von ethnischer ProporzPolitik gelähmtem Land wie Bosnien und Herzegowina kann das fast schon als Utopie gesehen werden.

Danis Tanovic reicht es nicht, in Bildern zu sprechen, er engagiert sich auch politisch. Er gehört zu den Gründern der multiethnischen linksliberalen Partei Naša Stranka, die er als Abgeordneter im Regionalparlament vertritt. „Ich fühle mich nicht als Politiker, sondern sehe eine Verpflichtung, als Bürger bestimmte Dinge zu tun“, sagt der Filmemacher, der 2007 nach zwölf Jahren in Paris und Brüssel mit seiner Familie nach Sarajevo zurückkehrte. Seither lässt er nicht locker, die Zustände in seinem Heimatland zu kritisieren und hofft, dass sein Beispiel junge Leute motiviert.

Dass ihm dabei nicht die Zuversicht abhanden kommt, ist bewundernswert. Zumal sich nicht viel bewegt zu haben scheint seit „No Man’s Land“, in dem Tanovic die Situation des Landes in einer starken Metapher gespiegelt hatte. Ein bosnischer Soldat liegt während des bosnischserbischen Krieges im Niemandsland auf einer Bombe. Wenn er sich bewegt, geht sie hoch. Der Regisseur gibt zu, dass er sich damals nicht hätte träumen lassen, dass die Lage zehn Jahre später im Prinzip die gleiche ist. Doch er schaut lieber nach vorn:  „In zehn Jahren wird sich etwas verändert haben. Wir werden Fortschritte machen. Wenn die Wirtschaft sich entwickelt, werden viele Dinge hier besser laufen.“ Für einen Moment klingt Tanovic wie ein echter Politiker. Schon im nächsten Satz ist es damit wieder vorbei, wenn er meint: „Und vielleicht bringt die Wirtschaftskrise auch Positives. Das Gerede der Nationalisten kommt nicht gut an bei Leuten, die nichts zu essen haben.“

Auch Divko findet in „Cirkus Columbia“ erst unter extremen Bedingungen zu Anstand und Menschlichkeit. Und siehe da, seine alte Liebe und sein Kater Boni kehren zu ihm zurück.

In den Berliner Kinos Eiszeit, Filmkunst 66, Krokodil

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