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Der animierte Insekten-Abenteuerfilm „Die Winzlinge 2- Abenteuer in der Karibik“ wurde ressourcenschonend produziert.

© Futurikon

Filmbranche ist ein Klimakiller: Wo bitte geht's zum Grünen Film?

Der CO2-Ausstoß der Film- und Fernsehbranche steigt immer weiter. Einige kämpfen für mehr Umweltbewusstsein. Doch es fehlt der politische Druck.

Was haben der rote Teppich der Berlinale, Nora Fingscheidts Oscar-Kandidat „Systemsprenger“ und der letzte Richy-Müllert- „Tatort“ gemeinsam? Sie wurden ressourcenschonend produziert. Der Berlinale-Teppich bestand dieses Jahr aus Meeresmüll und ausrangierten Fischernetzen.

„Systemsprenger“ wurde mit dem Grünen Drehpass ausgezeichnet, einem von der Filmförderung Hamburg und Schleswig-Holstein ausgestellten Zertifikat. Der SWR produzierte den Tatort „Hüter der Schwelle“ mit einem Nachhaltigkeitsbeauftragten, nach freiwilligen Regeln des „Green Shooting“.

Weniger fliegen, mehr Bahn fahren, mehr LED-Licht, Elektro- und CNG-Erdgasfahrzeuge – und bloß kein Plastikgeschirr am Cateringbus: Nicht erst seit Fridays for Future wollen auch Filmschaffende ihren ökologischen Fußabdruck verringern.

Die branchenfinanzierte Filmförderanstalt (FFA) hat ein „Grünes Kinohandbuch“ herausgegeben, um die Filmtheater zum Energiesparen zu animieren.

Das Medienboard Berlin-Brandenburg stellt über ihre Film Commission Listen von nachhaltig arbeitenden Dienstleistern zur Verfügung. Förderanstalten bieten Workshops an, Mehrkosten wegen Nachhaltigkeit können veranschlagt werden. In Baden-Württemberg ist ein Handbuch für Produzenten in Arbeit. Ein paar Beispiele unter vielen.

Müllreduktion, Beleuchtung und Biokosmetik

„Green Consultants“ können sich dieser Tage vor Aufträgen kaum retten. Sie empfehlen Produzenten den Einsatz von CO2-Rechnern, coachen Teams in Sachen Müllreduktion, Beleuchtung und Biokosmetik, geben Tipps bei den Haupverschmutzern Reisen und Energie. Einer dieser Coachs ist der Umweltberater Philip Gassmann.

Er findet es falsch, dass sich die Klimadebatte vor allem um Verzicht dreht. „Es geht nicht um Verbote, sondern um einen Kreativitätsschub, um neue Hightech, die effizienteres Arbeiten ermöglicht“. Was insgesamt nicht einmal teurer sein muss. Wer ein Set mit LED-Ballons ausleuchtet, spart Zeit und Geld.

Gassmann ist viel unterwegs. Er lobt den Privatsender Sky, der als einziger TV-Sender seine Auftragsproduzenten zum umweltfreundlichen Drehen verpflichtet. Wer sich nicht daran hält, riskiert die letzte Rate. Auch der SWR fragt bei Ausschreibungen schon lange nach Umweltverträglichkeit.

„Bei manchem ,Tatort‘ konnte der CO2-Ausstoß bis zu 50 Prozent reduziert werden,“ sagt Gassmann.

ZDF, Pro 7 und WDR machen sich auf den Weg, Leitlinien werden formuliert. Unter den Kinoproduzenten ist die Constantin besonders engagiert, „das grüne Produzieren ist Teil ihrer DNA geworden“, so der Umweltberater. Die Bavaria ist klimaneutral, das Studiogelände in Geiselgasteig bezieht seine Energie aus Wasserkraft, Solaranlagen und Erdgas. Der Rest wird kompensiert, durch Unterstützung eines Geothermie-Projekts in Indonesien.

All das klingt erstmal prima. Denn wer Filme dreht, ob Kinodramen oder Kochshows, ist Umweltsünder, ganz unvermeidlich. Eine Stunde TV-Programm erzeugt laut einer britischen Studie 13,5 Tonnen CO2. Bei einem Kinospielfilm liegt die CO2-Summe zwischen hundert und tausend Tonnen, bei einem US-Blockbuster kommen schnell ein paar Tausend Tonnen zusammen.

Und weil die Welt der Medien immer auch mit Image zu tun hat, ist das grüne Produzieren jetzt schwer in Mode – auch wenn Stahl-, Aluminium- oder Mineralölbranche erheblich höhere Treibhausgasemissionen verursachen.

Formuliert werden weiche Ziele

Dummerweise wird aber weit mehr geredet als getan. Nach wie vor steigt der CO2-Ausstoß der Branche, das ist „die bittere Nachricht“, sagt Gassmann - vom Energieverbrauch der Zuschauer zu schweigen. Der Grüne Drehpass existiert seit 2012, er ging dieses Jahr unter anderem an Fatih Akins „Der Goldene Handschuh“ und wurde Ende September zum 157. Mal vergeben, an „Die Rosenheim-Cops“. Macht im Schnitt 20 TV- und Kinoproduktionen pro Jahr. Bei jährlich rund 250 Kinofilmen und über 700 000 auftragsproduzierten Sendeminuten ist das ein Witz.

Mehrkosten für nachhaltiges Drehen können geltend gemacht werden? Klingt auch gut, aber Fördersummen werden bekanntlich als Ganzes bewilligt. Bis 400 Kilometer nehmen alle die Bahn? Gibt’s solche Kurzflugstrecken überhaupt noch?

Laut Ben von Dobeneck, Herstellungsleiter und Geschäftsführer bei der Berliner Produktionsfirma Komplizen Film („Toni Erdmann“) hakt es schnell, wenn 200 bis 300 Leute an einer Produktion beteiligt sind.

„Die müssen alle an einem Strang ziehen. Wenn dann der Schauspielagent auf die Vertragsklausel besteht, dass der Darsteller zum Set mit dem Flugzeug anreisen darf, erhöht das die CO2-Bilanz deutlich.“ Wenigstens stellt die Komplizen Film den Produzenten während eines Drehs Bahncards 1. Klasse zur Verfügung, um das Bahnfahren attraktiver zu machen.

Nachhaltigkeits-Beauftragte der FFA spricht von Kleinstaaterei

Es ist wie beim Klimapaket der Großen Koalition: Formuliert werden weiche Ziele, freiwillige Selbstverpflichtungen und der Wille zur Ablasszahlung qua Kompensation. Warum macht die Filmpolitik nicht mehr Druck?

„Film ist das Zusammenspiel vieler Gewerke, da ist es nicht leicht, alles zu ,begrünen‘“, sagt die Hamburger Länderförderin Christiane Dopp, die den Grünen Drehpass initiiert hat. Auch wenn die Sensibilität für das Thema gewachsen sei.

Die Filmpublizistin Birgit Heidsiek erinnert sich ebenfalls daran, dass die Produzenten vor einigen Jahren noch andere Sorgen hatten. Aber auch sie kann ein Lied vom Greenwashing singen.

Heidsiek betreibt die Internetplattform „Green Film Shooting“ und gibt das gleichnamige Magazin heraus, sie ist Nachhaltigkeits-Beauftragte der FFA und in Sachen „Grüner Film“ in ganz Europa unterwegs. Sie spricht von Kleinstaaterei. Wenn national wie international stärker zusammengearbeitet würde, wäre man wesentlich weiter. „Statt europäische Lösungen zu erarbeiten, werden die Best-Practice-Grundsätze in jeder Region neu formuliert und eigene CO2-Rechner entwickelt.“

Kaum Elektroautos und Akku-Generatoren

Der animierte Insekten-Abenteuerfilm „Die Winzlinge 2- Abenteuer in der Karibik“ wurde ressourcenschonend produziert.
Der animierte Insekten-Abenteuerfilm „Die Winzlinge 2- Abenteuer in der Karibik“ wurde ressourcenschonend produziert.

© Futurikon

Geld regiert die Welt: Partikular- und Standortinteressen bestimmen seit jeher das föderale deutsche Fördersystem. Wieso existiert nach sieben Jahren Hamburger Drehpass bis heute kein bundesweites Grün-Siegel? Es sei in Arbeit, heißt es seitens der FFA, unter Federführung der Kulturstaatsministerin, genauere Zeitangaben gibt es nicht. Bis auf Weiteres gilt nice to have und nicht must have.

Moritz Lehmkuhl, Chef der Beratungsfirma Climate-Partner, die auch für die Bavaria tätig ist, bescheinigt der Branche, „nicht gerade ungeheuer innovativ“ zu sein. „Die ersten klimaneutralen Filme gab es vor 15 Jahren, seitdem hätte sich mehr tun können.“ Al Gores Erderwärmungs-Manifest „Eine unbequeme Wahrheit“ kam mit Hilfe von Climate-Partner schon 2006 klimaneutral in die Kinos. Der Alarm verhallte.

Dabei sind sich auf Nachfrage alle einig, Produzenten, Berater, Förderer: Gezielte Anreize könnten das grüne Filmen stimulieren, sagen Christiane Dopp und Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus unisono. Niehuus bestreitet zudem den Vorwurf, der deutsche Fördertourismus mit seinen Regionaleffekt-Vorschriften erzwinge mehr Reisen, auf Kosten der CO2-Bilanz. Man versuche ohnehin, sich mehr zu fokussieren.

Beste Absichten, heiße Luft

Der rotrotgrüne Koalitionsvertrag klingt da entschiedener. Darin heißt es: „Fördermittel sollen in Zukunft durch das Medienboard nur noch vergeben werden, wenn das Projekt sozialverträglichen und ökologischen Standards gerecht wird.“ Das wird jedoch nicht kontrolliert und hatte bisher auch keine Ablehnung von Anträgen zur Folge. Beste Absichten, heiße Luft.

Komplizen-Filmer Ben von Dobeneck wünscht sich verpflichtende Regelungen: „Es würde uns helfen, Dinge durchzusetzen. Wir hantieren mit öffentlichen Geldern, das bringt Verantwortung mit sich“. Philip Gassmann sieht das genauso, auch Birgit Heidsiek hält strengere Auflagen für nötig. Das Klima kennt keine Landesgrenzen, auch Brüssel ist gefragt.

An Willensbekundungen und Nachhaltigkeitstools mangelt es weltweit nicht. Ob es die Earth Angels in New York sind, die Filme wie „Die Verlegerin“ mit Meryl Streep und Tom Hanks umweltfreundlicher machten, die Green Guidelines des US-Produzentenverbandes, Ecoprod in Frankreich oder Green Screen in England.

James Cameron setzt bei den „Avatar“-Fortsetzungen Sonnenenergie ein (und serviert nur veganes Essen), verspricht das „grünste Filmset der Geschichte“. Die französische Firma Futurikon hat ihre animierten Insektenabenteuerfilme „Minuscule“ auch hinter den Kulissen „begrünt“.

Mancherorts arbeitet man längst mit konkreten Stimulantien, mit Bonus- und Malusprogrammen. In Flandern verlangt die Filmförderung vor der letzten Raten-Auszahlung eine CO2-Bilanz. Die Regionalförderung von Paris gewährt einen Öko-Bonus von 25 000 Euro, in der Provinz Trient gibt es 10 000 Euro extra. Vom grünen Aktionsplan in Sardinien profitierte etwa der Berlinale-Wettbewerbsfilm „Figlia Mia“ von 2017.

„Rein in die Richtlinien“, forderte Dieter Kosslick schon 2013

Mehr Druck auf dem Kessel würde auch die Dienstleistungsangebote stimulieren. Umweltfreundliche Autos und Akku-Generatoren sind Mangelware bei den Verleihern. Ein einziger Hybrid-Leihgenerator für Köln, zwei für Berlin, „das Lieferantenproblem grenzt ans Absurde“, findet Gassmann. Bei erhöhter Nachfrage könnten Verleiher mehr in umweltschonende Technologien investieren.

Will heißen: Klimabewusstsein nutzt nichts, wenn ein Team nur mit Billigfliegerei im Budget bleiben kann und grüne Technik weder erhältlich noch erschwinglich ist.

Also „Rein in die Richtlinien“, wie der damalige Berlinale-Chef Dieter Kosslick schon 2013 forderte. Über sechs Jahre sind seitdem verstrichen. Zur Zeit läuft sich die Branche warm für die nächste Novellierung des Filmfördergesetzes.

In den ersten Stellungnahmen der Regie- und Produzentenverbände findet sich kein Wort zum grünen Film. Auch nicht bei den Öffentlich-Rechtlichen. Der CO2-Ausstoß steigt weiter.

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