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Filme für Alle: Roter Teppich vor dem Kiezkino

Die Berlinale tourt mit prominenten Paten durch die Berliner Bezirke.

Frostig ist die tagsüber von Einkäufern belebte Bölschestraße am frühen Sonntagabend. Kaum Leute zu sehen, die Bürgersteige hochgeklappt. Ganz Friedrichshagen sitzt offenbar schon beim Abendbrot. Nur im Union Filmtheater nicht. Da drehen sich im schicken alten Saal beim Sonntagstanzcafé Paare im Matrosenlook zum Swingsound vor der Leinwand. In den roten Sesseln sitzen plaudernde Leute und auf dem Oberrang wird lachend mit Rotkäppchen angestoßen. Blaue Stunde mit Ballhausglanz.

Und am kommenden Sonntag, da fällt sogar Filmfestivalglamour auf das schon viermal preisgekrönte Programmkino. Die neue Reihe „Berlinale goes Kiez“ hat hier ihre letzte Station. Matti Geschonneck und sein Filmteam präsentieren „Boxhagener Platz“ und der Wettbewerbsfilm „Die Räuber“ ist samt Regisseur Benjamin Heisenberg zu Gast.

Ein Glanzlicht sei das, sagt Matthias Stütz, der das fünf Jahre geschlossene Kino Union 2003 wiedereröffnet hat. Er freut sich, dass die Berlinale noch mehr fürs Publikum anbietet und mit den Kiezkinos geografisch breit gestreut in die Stadt geht. Zehn Kinos von den Eva-Lichtspielen in Wilmersdorf über das Adria in Steglitz bis zum Neuen Off in Neukölln oder dem Toni in Weißensee sind derzeit Festivalort – mit rotem Teppich, Promis und bekannten Kinopaten.

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Ein Magnet in Köpenick ist das Kino Union aber auch sonst, sagt ein Stammgast. Er kauft schon mal Karten für „Zweiohrküken“, während im Kinosaal der letzte Tommy-Dorsey-Song verklingt. Tanzpartys oder Puppentheater, Konzerte oder Diashows, das gibt es hier zusätzlich zum Kino. Deswegen bedeute das Haus auch so viel für die Friedrichshagener, meint der junge Kinogänger. Und nicht nur für die. Swingtänzer und Kinogänger, die sich im kuscheligen Foyer mischen, kommen aus Erkner, Rahnsdorf, Wilhelmshagen, Buckow in der Märkischen Schweiz und sogar aus Seelow. Oder sie schneien aus der Nachbarschaft herein, wie eine Mittvierzigerin, die das Kino toll findet, weil es fußläufig und gemütlich ist und man hier nicht nur amerikanische Massenware sehen kann. 47000 Besucher besuchten im vorigen Jahr sein Kino, sagt Matthias Stütz. Am besten läuft das Seniorenkino am Mittwochvormittag. Da gibt es für vier Euro Eintritt einen aktuellen Film, Kaffee und Kuchen. Fast immer sind die gut 150 Plätze ausverkauft.

Und was wollen die Leute in Friedrichshagen sehen? Literaturverfilmungen, Musikfilme, Dokus, sagt Stütz, „eben was für ein bürgerliches Publikum.“ Aber zu speziell darf es dann wieder auch nicht sein. „Ich seh’ das hier als Volkshaus, dass möglichst viele Leute anziehen soll.“ Den Riecher dafür, was geht und was nicht, hat sich der 39 Jahre alte Kinomacher selbst antrainiert. Studiert hat er Architektur, herumgereist ist er viel, Unternehmer war er vorher nie. Dann verliebte er sich in das vom verkrachten Investor und Showmaster Wolfgang „Lippi“ Lippert zugesperrte Haus, für dessen Wiedereröffnung die Bürgerinitiative „Kino Union bleibt“ jahrelang vergebens stritt. Stütz schaffte es, die leer geräumte Bude erst zu mieten und später zu ersteigern. „Mit 300 Euro auf dem Konto ging’s los“, sagt er lakonisch. Jetzt hat er 30 Leute auf der Lohnliste, baut im Keller neue Toiletten und auf dem Hof zwei weitere Kinosäle. Und weil dafür der Raum weichen muss, wo jetzt der Filmprojektor steht, stellt Stütz im Juli auch gleich auf digitale Projektion um.

Zur „Berlinale goes Kiez“ am 21. Februar will das halbe Kulturamt und allerlei Lokalprominenz aus Treptow-Köpenick kommen, grinst Stütz. Die werden wissen, warum. Das Union Filmtheater ist ein kulturelles Schwergewicht im Friedrichshagener Kiez. Nur einer fehlt am großen Festivalabend, Sonntag in einer Woche, wenn sich hier im Foyer Jürgen Vogel, Michael Gwisdek, Meret Becker, Gudrun Ritter und Milan Peschel drängeln. Matthias Stütz. Halb so wild, sagt er, und fährt wie versprochen mit seiner schwangeren Frau noch mal in Urlaub, bevor es soweit ist.

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