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Filmfest: Nur brave Schafe kommen in den Himmel

Venedig sucht Götter und Gurus: Terrence Malick entdeckt in "To the Wonder" den Weihrauch, und Paul Thomas Anderson.wagt sich mit "The Master" an eine Kritik des Sektentums

Hätte ja sein können, dass man im katholischen Venedig am Sonntagmorgen den Gottesdienst schwänzen darf – ist ja schließlich Filmfestival. Pech gehabt, ihr Sünderlein! Auch für diesen Termin hat Filmfestchef Alberto Barbera, der sich immer eindeutiger als der Pontifex Maximus dieser 69. Mostra entpuppt, den aus aller Welt zusammengeströmten Cineasten einen Bußgang verordnet: Terrence Malicks transzendental ausgefallene Meditationsarbeit „To the Wonder“. Und was tun die Ungläubigen nach zwei Stunden Kino? Sie buhen.

Dabei hebt die Sache, wenn der Begriff in der strukturell magischen Welt dieses Regisseurs erlaubt ist, als recht irdische Liebesgeschichte an. Ein Amerikaner (Ben Affleck) verliebt sich in Paris in eine Exilrussin (Olga Kurylenko). Die hat eine zehnjährige Tochter, und zu dritt zieht man nach Oklahoma, wo der Mann aufgewachsen ist. Das Paar entfremdet sich, Mutter und Kind gehen zurück nach Europa und der Mann wendet sich derweil einer Jugendliebe (Rachel McAdams) zu. Alsbald kehrt die Frau – die Tochter lebt beim leiblichen Vater – nach Amerika zurück, aber auch auf diesem Versuch liegt kein Segen. Trennung, die zweite.

Richtig, eine Allerweltsgeschichte. Malick erzählt sie als retrospektiven Monolog der Frau, was zunächst seinen Reiz hat. Bald aber gesellt sich ihm die monologisierende Stimme des Paters (Javier Bardem) der Oklahoma-Gemeinde hinzu, der mit seinem Gott hadert. Der Film selber übernimmt, mit Bildern von leeren Landschaften und ebenso leeren Wohnungen sowie Großaufnahmen zerknirschter Männer- und durchweg niedlicher Frauengesichter, rein illustrative Funktion. Für die Schauspieler heißt das: Sie müssen nur gut aussehen und sich in den von Emmanuel Lubezki elegant fotografierten Außen- und Innenräumen dekorativ bewegen. Darf man sagen, dass sie das mit einer gewissen Hingabe tun?

Die einzige Figur, die in diesem – nach „The Tree of Life“ (2011) – erneut höchst kunstgewerblich ausgefallenen Opus eine Art Entwicklung durchmacht, ist der Priester. Er findet zurück zu Gott, und seinen Jesus – so spricht er im Gebet – trägt er rechts, links, vorne, hinten und vor allem im Herzen. Ehepaaren erlegt er nun wieder mit größerer Entschiedenheit die Pflicht zur Liebe auf. Doch auch den Einsamen bleibt zumindest der Glaube, der sich männlicherseits bevorzugt im irgendwie kantigen Blick und weiblicherseits in unablässig tänzelnden Luftumarmungen ausdrückt.

Lieber Gott, was ist bloß in Venedig los – sind die Filmregisseure die neuen Hohepriester? Zur Halbzeit steht es in Sachen Islam und Christentum unentschieden: Mira Nairs Eröffnungsfilm „The Reluctant Fundamentalist“, der ein gewisses Verständnis für die islamisch-islamistische Abwendung vom Kapitalismus formulierte, steht Haifaa al Mansours kritisches Debüt „Wadjda“ aus dem Gottesstaat Saudi-Arabien gegenüber, der die Frauen zur totalen Persönlichkeitsverschleierung zwingt. Und Ulrich Seidls klug dekonstruiertes Glaubensgebäude einer Muttergottes-Fanatikerin kontert Terrence Malick auf gut katholisch: Nur brave Schafe kommen in den Himmel.

Für das Judentum hat auf dieser Mostra, die den Ehrgeiz einer Enzyklopädie der Weltreligionen entwickelt, inzwischen Rama Burshtein Position bezogen – und ihr ultraorthodoxes Glaubensbekenntnis gleich ins Presseheft geschrieben. Mit dem Debüt „Fill the Void“ will die Israelin den politischen Kampf ihrer Glaubensbrüder ausdrücklich kulturell unterstützen. Der Film dazu: Die 18-jährige Shira (Hadas Yaron), deren zehn Jahre ältere Schwester bei der Entbindung eines gesunden Jungen gestorben ist, heiratet nicht den Gleichaltrigen, den sie will, sondern den nicht mehr ganz jungen Witwer. Das ist gut für den Mann, weil er jetzt nicht nach Belgien auswandern muss, wo eine Witwe mit zwei Kindern für ihn ausgeguckt war. Und vor allem gut für ihre Mutter, weil das Enkelkind in Israel bleibt.

Burshtein gestattet dem Mädchen zwar ein paar Tränen auf dem Weg in die Pflichtehe, lässt aber keinen Zweifel an der Richtigkeit dieses Schritts. Bei einer derartigen Instrumentalisierung der Filmkunst für ideologische Zwecke stellt sich allerdings die Frage nach dem Selbstverständnis des Festivals.

Genügen ein noch immer großer Regisseursname oder eine gewisse stilistische Eleganz – und die ist auch „Fill the Void“ nicht abzusprechen –, damit ein Film ungeniert die globalkatechetische Peitsche schwingen darf? Im Fall von Paul Thomas Andersons „The Master“ liegen die Dinge ein bisschen komplizierter, und schon dieser Befund hebt den Film aus dem Gros der Wettbewerbsbeiträge heraus. Anderson hat sich nicht explizit, aber narrativ mühelos belegbar die Vita des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard vorgenommen. Philip Seymour Hoffman spielt den charismatisch-fanatischen Autor Lancaster Dodd, der nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr Anhänger um sich schart. Seine aus allerlei Behandlungsmethoden, Philosophien und Religionen zusammengebastelte Weltanschauung, genannt „The Cause“, beschreibt er 1950 in seinem Buch „Split Saber“. Im selben Jahr brachte auch Hubbard die Scientologen-Bibel „Dianetics“ heraus.

„The Master“ aber ist schon deshalb kein Biopic, weil Anderson die Geschichte aus der Perspektive des kriegstraumatisierten Navy-Veterans Freddie Quell (Joaquin Phoenix) erzählt. Eine Geliebte hat er früh im Stich gelassen und im Zivilleben kommt er nicht zurecht, bis er – faszinierendste Filmszene dieses Festivals – eines Abends ein hell erleuchtetes Doppeldeckschiff vorüberfahren sieht, voller gut gekleideter, plaudernder, tanzender Menschen. Hier ist Dodd der ideologische Kapitän. Und weil er gerne harte Sachen trinkt, nimmt er den kaputten Freddie, der auch aus Kokosmilch tolle Killerdrinks zu mixen versteht, an Bord.

Durchaus verführerisch beschreibt Anderson, immer mit der Ersatzvater-Sohn-Psychologie im Hintergrund, den Prozess einer fehlgehenden Initiation. Durch einpeitschende Verhöre, frühere Traumata betreffend, formt Dodd Freddie zwar zu seinem Götzenkrieger, kriegt aber dessen Gewalttätigkeit nicht in den Griff. Dodd scheitert schließlich in der selbstverordneten Bemühung, Freddie charakterlich zu veredeln, und gibt ihn frei. Dabei überlässt der Film, ohne Partei zu ergreifen, seine Zuschauer der schillernden Innenansicht einer Welt, von der der abtrünnige Hubbard-Sohn einmal gesagt hat, sie vergewaltige die Seele. Dem Schluss immerhin lässt sich, vorsichtig, Hoffnung für Freddie entnehmen – ohne seinen Dodd-God, ohne „The Cause“.

Doch, es gibt auch andere Filme am Lido, wunderbare französische wie „Superstar“ von Xavier Giannoli oder Pascal Bonitzers „Cherchez Hortense“. Aber für einen Sonntag in Venedig sind sie einfach zu frivol. Jan Schulz-Ojala

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