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Skandal! Gérard Depardieu spielt einen sexsüchtigen Banker, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen beabsichtigt.

© Wild Bunch/N. Rivelli

Filmfestival Cannes: Renaissance der Machos

Am Rande des Filmfests von Cannes gibt es Aufregung um Dominique Strauss-Kahn und einen Film von Abel Ferrara. Die Wettbewerbsfilme widmen sich wiederum Machos und tapferen Frauen, in Produktionen von Bennett Miller, Alice Rohrwacher und den Dardenne-Brüdern.

Wenn das kein subtiler Sinn für ein Reality-Sequel ist: Dominique Strauss-Kahn hat es erneut geschafft, dass sich in Cannes tagelang niemand für die Filmkunst interessiert. Vor drei Jahren wurde der DSK-Coup zwar zum Festivalende noch durch Lars von Triers dahingequatschtes Nazi-Bekenntnis bei der „Melancholia“-Pressekonferenz getoppt; zuvor aber sprach alle Welt nur über das Spektakel um die Festnahme des IWFPräsidenten in New York.

Diesmal war’s eine abseits des offiziellen Programms angesetzte Vorführung. Wer nicht das zweifelhafte Vergnügen hatte, der Darbietung von „Welcome to New York“ in einem Strandzeltkino unter lausigen Projektionsbedingungen beizuwohnen, hat dazu längst am heimischen Rechner Gelegenheit. Zum schlanken Preis eines Latte grande ist Abel Ferraras kinematografische Aneignung des New Yorker Skandals in mehreren Ländern per Video-on-Demand verfügbar.

Ist der Film um den sexsüchtigen Machtmenschen namens Devereaux damit in seinem einzig adäquaten Terrain gelandet, dem Schmuddelmedium Internet? Ja und nein. Die erste halbe Stunde geht locker als – übrigens ab 12 freigegebener – Lustmolch-Softporno über die Nacht vor der sexuellen Attacke auf ein schwarzes Zimmermädchen durch. Der Anderthalbstundenrest beschäftigt sich dagegen, durchaus respektabel, mit den Folgen des Skandals für den von Gérard Depardieu eindrücklich cool gespielten Banker und seine Ehefrau Simone (Jacqueline Bisset).

Wenig reißerisch und fast dokumentarisch präzis inszeniert Ferrara die Details der Festnahme; auch die Szenen einer bereits suspendierten Ehe verlaufen als Kammerspiel im 60 000-Dollar-Apartment, in dem Devereaux nach der Kautionszahlung per Fußfessel gefangen bleibt. Viel Raum ist da für die verzweifelte Selbstdisziplin der Ehefrau, die ihr eigenes Charity-Werk zerstört sieht und doch, zumindest öffentlich, ein letztes Mal zu ihrem Mann hält. Der breitet derweil, fernab jeder Bettelei um Mitleid, Weltekel und Selbsthass aus. Und irgendwann spuckt er seinen „Je ne regrette rien“-Kotztrotz direkt in die Kamera.

Alice Rohrwacher ist die zweite Frau im Palmen-Wettbewerb, neben Naomi Kawase. In ihrem Film "Le Meraviglie" über eine dysfunktionale Familie spielt ihre Schwester Alba Rohrwacher mit. Und Sabine Timoteo!
Alice Rohrwacher ist die zweite Frau im Palmen-Wettbewerb, neben Naomi Kawase. In ihrem Film "Le Meraviglie" über eine dysfunktionale Familie spielt ihre Schwester Alba Rohrwacher mit. Und Sabine Timoteo!

© Filmfestival

Warum Cannes den eingereichten Film letztlich ablehnte, bleibt wohl geheim. Auf Nachfrage heißt es nur stereotyp, zu Produktionen außerhalb des Programms äußere man sich nicht. Im April noch hatte Festivalchef Thierry Frémaux gegenüber dem Branchenblatt „Variety“ eine Nachzügler-Einladung nicht ausgeschlossen – und seither wird munter spekuliert. Für einen gewissen Druck durch die das Festival mitsubventionierende französische Regierung zugunsten ihres Altgenossen spricht manches – nicht zuletzt, da Strauss-Kahn prompt eine Verleumdungsklage gegen den Film anstrengen will. Große Chancen dürfte er in Amerika nicht damit haben; schon der hochjuristisch formulierte Filmvorspann spricht dafür, dass die Produzenten sich engmaschig abgesichert haben.

Immerhin bleibt dieser neueste Krach außerhalb des Festival-Spielfelds – auch von dort allerdings sprinten einem die Macho-Monster gleich in Mannschaftsstärke entgegen. Zum Drahtzieher eines Pädophilenrings in Atom Egoyan „The Captives“, dem zynischen Rhetoriker in Nuri Bilge Ceylans „Winter Sleep“ oder auch zur bloß ins eigene Werk verliebten Mode-Mumie „Saint Laurent“ haben sich inzwischen weitere Widerlinge gesellt. Angeknackst sind sie in ihrer Psyche allesamt, ihr Machtbedürfnis aber stellen sie, ob seelisch oder körperlich, umso brutaler zur Schau. Sollte da, nehmen wir das Kino als Gradmesser für Globalbefindlichkeiten, nach Jahren mit männlichen Jammergestalten ein neuer Typus entstehen – zwar dumm, aber laut und durchsetzungsbedürftig, mit Bizeps oder Brieftasche?

Die Regisseurinnen gehen differenzierter mit den Macho-Figuren um.

Solidarität! Marion Cotillard hat in „Deux jours, une nuit“ von den Gebrüdern Dardenne 48 Stunden Zeit, um ihren Job zu retten.
Solidarität! Marion Cotillard hat in „Deux jours, une nuit“ von den Gebrüdern Dardenne 48 Stunden Zeit, um ihren Job zu retten.

© Christine Plenus/Festival

Bennett Millers „Foxcatcher“ setzt auf beides und erzählt dabei eine verbürgte, weithin vergessene Geschichte. Mark Schultz (Channing Tatum) und sein älterer Bruder David (Mark Ruffalo) sind in den achtziger Jahren als Ringer bereits weltberühmt, als sie unter den Einfluss eines seltsamen Sponsors geraten. Der Multimillionär und Waffenhändler John duPont (Steve Carell) holt erst den etwas tumben Mark in sein „Foxcatcher“-Team, später kommt, zum Schutz des Bruders und bald mit der eigenen Familie, David hinzu. Während Mark die Flucht aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu dem omnipotenten Ersatzvater gelingt, bindet sich David als Trainer enger an den Foxcatcher. Jahre später wird er von duPont erschossen.

Bennett Miller („Capote“) inszeniert die Binnenverhältnisse der Figuren subtil, von der fast zärtlichen Brüderfürsorge bis zur pervertierten Fürsorge des unter der Verachtung seiner Horror-Mutter leidenden duPont, der sich Sportler regelrecht zusammenkaufen muss, um menschliche Nähe zu empfinden. Und sei es als Männerschweiß in der Trainingshalle. Dennoch wird der Film von einer sich irgendwann ins Befremdliche wendenden Faszination für seinen scheußlich einsamen Helden grundiert.

Regisseurinnen, die in diesem Cannes-Jahrgang spürbarer vertreten sind als in manch früheren, gehen weitaus distanzierter mit solchen Patriarchen um. In „A Girl at My Door“, dem in der Certain-Regard-Nebenreihe gezeigten Debüt der Koreanerin July Jung, beherrscht ein brutaler Schläger ein ganzes Küstendorf. Er wird erst von seiner misshandelten Tochter zu Fall gebracht, die bei einer Polizistin Zuflucht sucht. Und im zweiten Spielfilm der 32-jährigen Italienerin Alice Rohrwacher, „Le meraviglie“ (Die Wunder), ist es ebenfalls ein Vater (Sam Louvyck), der den Befehlsgewaltigen über seinen Frauenclan mimt. Als er seiner heranwachsenden Tochter Gelsomina (Alexandra Lungu) – von fern grüßt Fellinis „La strada“ – widerstrebend ein erstes Mal nachgibt, wird er endlich zum verletzlichen Menschen.

Schon möglich, dass diese Geschichte einer Aussteiger- und Imkerfamilie am Lago di Bolsena bei der Jury unter Leitung von Jane Campion einen Preis holt; nicht weil sie von einer Frau inszeniert ist, sondern weil sie wegen ihrer Zartheit mitten im rauen Setting und ihrer Ungewöhnlichkeit nachhaltig verzaubert.

Ein Frauen- und Familienschicksal inszenieren in „Deux jours, une nuit“ auch die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne. Marion Cotillard spielt eine Arbeiterin, die ihren Job nur retten kann, wenn sie übers Wochenende die Kollegen davon überzeugt, auf ihren Bonus zu verzichten. Der Film versteht sich als schmucklose, präzise Reflexion über Egoismus und Solidarität – und ist weitaus weniger vorhersehbar, als dies zunächst scheint. Eine Goldene Palme für die Dardennes? Sie haben schon zwei.

Mehr zum aktuellen Filmfestival: www.tagesspiegel.de/cannes

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