zum Hauptinhalt
“Mektoub, My Love: Intermezzo” von Abdellatif Kechiche.

© Festival

Beratungsresistent wie immer: Festivalleitung macht sich den Ausklang in Cannes kaputt

Justine Triet liefert in Cannes einen bewegenden Schlusspunkt – doch ihr Beitrag geht unter. Ein umstrittener Regisseur löst Kopfschütteln aus.

Von Andreas Busche

Bei all dem Hype, den Cannes aus sich selbst heraus zu generieren vermag, geht es an der Croisette in diesem Jahr geradezu entspannt zu. Was sicher auch daran liegt, dass der Fokus weniger auf den (ohnehin nicht sonderlich zahlreich vertretenen) Stars, sondern auf den Filmen liegt. Thierry Frémaux und sein Auswahlkomitee haben eine bewundernswerte Ruhe und ein gutes Händchen bewiesen.

Doch die harmonische Stimmung – möglicherweise auch einem sanften Kritiker-Ennui geschuldet – muss ihnen am Ende selbst unheimlich vorgekommen sein. Anders lässt sich die Nominierung von Abdellatif Kechiches Coming-of-Age-Sequel “Mektoub, My Love: Intermezzo” (der erste Teil lief 2017 in Venedig) für den Wettbewerb nicht erklären.

Kechiche sieht sich seit vergangenem Herbst im Frankreich mit einem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs konfrontiert, die polizeilichen Ermittlungen laufen noch. Schon bei seinem Palmengewinner “Blau ist eine warme Farbe” von 2013 hatten die beiden Hauptdarstellerinnen seine übergriffige Arbeitsweise öffentlich kritisiert.

Thierry Frémaux polemisiert gegen eine Frauenquote

Der Nachzügler im Wettbewerb sorgte nicht nur in Frankreich für Kopfschütteln, hatte sich das Festival doch in diesem Jahr eine erhöhte Sensibilität für mehr Gleichbehandlung, eine bessere Quote an Regisseurinnen und damit einhergehend komplexere Frauenfiguren selbstverordnet.

Frémaux zeigte sich aber wieder einmal als nur eingeschränkt lernfähig, als er in der Eröffnungspressekonferenz erklärte, dass eine 50-Prozent-Quote, die niemand gefordert hatte, einem “Mangel an Respekt” gegenüber Regisseurinnen gleichkäme.

War die Nominierung Kechiches – nach der Ehrenpalme für Alain Delon – schon der zweite Aufreger, bevor das Festival überhaupt gestartet war, kann man “Mektoub, My Love: Intermezzo” über eine Gruppe von Freunden in den letzten Sommertagen 1994 nur als Affront bezeichnen. Über dreieinhalb Stunden kreist die Kamera um die leicht bekleideten Körper junger Frauen (nie Männer): am Strand, später im Club, die meiste Zeit mit zuckenden Hintern an der Polestange, auf die Marco Graziaplena und Jeremie Attard stets aus einer leichten Untersicht frontal draufhalten.

Die Handlung ist marginal, der Großraumdisco-Techno wummert stumpf vor sich hin: Kechiche hat auf eine Spätvorstellung insistiert, Partystimmung kommt nicht auf. Zum Zeitpunkt einer 15-minütigen (!) Blowjob-Szene hat sich der Kinosaal zur Hälfte geleert. “Mektoub, My Love: Intermezzo” wird schnell vergessen sein, schon der erste Teil war außerhalb Frankreichs kaum zu sehen. Größer ist da schon der Imageschaden für die Festivalleitung, die sich – beratungsresistent wie immer –  kurz vor Schluss noch so ein Kuckucksei hat ins Nest legen lassen. 

Das ist umso ärgerlicher, da die kalkulierte Provokation den letzten Wettbewerbsbeitrag einer Regisseurin ins Hintertreffen geraten lässt. Justine Triet knüpft mit “Sibyl” nahtlos an den Vorgänger “Victoria – Männer & andere Missgeschicke” an, der das erwartbare Genre der romantischen Komödie mit der furiosen Virginie Efira in der Hauptrolle schon einmal kräftig durchgeschüttelt hat.

Sandra Hüller am Rande das Nervenzusammenbruchs

Efira (die französische Ashley Judd) spielt Sibyl, eine Psychologin, die ihre neue Patientin Margot (Adèle Exarchopoulos, eine der beiden Hauptdarstellerinnen aus “Blau ist eine warme Farbe”), eine Schauspielerin, als Protagonistin für ihr Romandebüt auserkoren hat.

Sie lässt sich in den Beziehungsirrsinn der jungen Frau hineinziehen, in dem auch die Regisseurin ihres aktuellen Films, gespielt von einer äußerlich kontrollierten Sandra Hüller am Rande das Nervenzusammenbruchs, eine zentrale Rolle zukommt. Die chaotische, melancholische Energie von "Sibyl" sorgt immerhin für den versöhnlichen Abschluss eines Cannes-Jahrgangs, der – alles in allem – großenteils positiv überrascht hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false