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Verliebte Jungs. Matthias (Gabriel D'Almeida Freitas, l) und Maxime (Xavier Dolan) in der bromantic comedy „Matthias & Maxime“.

© Shayne Laverdiere/dpa

Filmfestival in Cannes: Noch immer gibt es keinen Favoriten für die Goldene Palme

Viele Stammgäste und starke Newcomer haben sich hervorgetan - ein eindeutiger Favorit fehlt. Xavier Dolan und Bong Joon-ho stellen ihre Filme vor.

Von Andreas Busche

Auf der Zielgeraden des Wettbewerbs werden bereits Wetten abgeschlossen, welche Filme in diesem Jahr die besten Chancen auf die Goldene Palme haben. Eine seriöse Prognose fällt schwer, weil dieser Jahrgang zwischen den Stammgästen Ken Loach, Pedro Almodóvar, den Dardenne-Brüdern, Terrence Malick und Quentin Tarantino und jüngeren Filmemacherinnen wie Mati Diop, Kleber Mendonça Filho, Jessica Hausner und Corneliu Porumboiu zwar jede Menge Kritikerlieblinge hervorbringt, aber keinen eindeutigen Favoriten. Wird sich die regie-lastige Jury möglicherweise auf einen Überraschungssieger einigen?

Am Mittwoch schiebt sich plötzlich Bong Joon-ho mit seiner Familienkomödie „Parasite“ in der internationalen Kritikergunst an der Konkurrenz vorbei. Bong, der vor zwei Jahren mit seiner Sci-Fi-Satire „Okja“ zum Kreis der Netflix-Regisseure gehörte, die von der Jury demonstrativ ignoriert wurden, konkurriert diesmal mit der durchgeknallten Variante eines home invasion movies um die Palme: Eine Familie aus dem unteren Gesellschaftsspektrum nistet sich peu à peu als Nachhilfelehrer, Kunsttherapeutin, Hausmädchen und Chauffeur im Domizil eines reichen IT-Entrepreneurs ein – um festzustellen, dass es im Keller des Hauses ein Geheimnis gibt, das die parasitäre Existenz der dreisten Eindringlinge noch toppt. Bong fährt die Absurdität dieser Prämisse hoch bis zum Exzess: Dem Wettbewerb tut etwas Klamauk gut, was zweifellos die Euphorie der Branchenpresse erklärt. Trotzdem kaum vorstellbar, dass „Parasite“ realistische Chancen hat.

Das kanadische Wunderkind Xavier Dolan – gerade erst 30 Jahre alt, aber längst ein Festivalveteran – hat sich am Mittwoch gleich zweimal in den Wettbewerb eingemischt. Zuerst erklärte er Céline Sciammas queeren Historienfilm „Portrait of a Lady on Fire“ zu seinem Liebling (womit er nicht allein dasteht), dann legte er mit seiner schwulen bromantic comedy „Matthias & Maxime“ selbst nach. Dolan ist nach der Schmach mit „It's Only the End of the World“ vor drei Jahren in Cannes ein gebranntes Kind, aber seine Rückkehr fällt triumphal aus. Auch seine Geschichte um zwei Kindheitsfreunde, die nach einer verlorenen Wette knutschen müssen und sich plötzlich ihrer wahren Gefühle nicht mehr sicher sind, ist wackelig konstruiert. Aber das passt zum exzessiv-melodramatischen Kino Dolans, der die Rolle Maximes selbst übernimmt (mit einem feuerroten Mal quer übers Gesicht). Maxime will für zwei Jahre nach Australien abhauen, eine Flucht vor der alkoholkranken Mutter. Den beiden Männern bleiben zwölf Tage, um sich über ihre unausgesprochenen Gefühle im Klaren zu werden. „Matthias & Maxime“ ist dramaturgisch und in seinen Figurenzeichnungen (er bietet homoerotische und heteronormative Jungsenergie en masse) etwas unkonzentrierter als seine beiden Meisterstücke „Mommy“ und „Lawrence Anyways“, aber er hat Schmackes, Herzblut und einen wie immer exzellenten Indie-Soundtrack (plus Britney Spears).

Auch das Zombie-Thema aus Jim Jarmuschs enttäuschendem Eröffnungsfilm „The Dead Don't Die“ zieht in Cannes weiter seine Kreise, bis in die Nebensektionen. Hier jedoch reanimiert als mehr oder weniger romantischer Coming-of-Age-Stoff. Bertrand Bonellos „Zombi Child“ nimmt die koloniale Route des „Black Atlantic“, um haitianische Voodoorituale an einer katholischen Schule in Paris auf den Lehrplan zu setzen: Die junge Fanny will ihr gebrochenes Herz mit der Seele ihrer Jugendliebe füllen. Dafür braucht sie die Hilfe der Tante ihrer neuen Schulfreundin Mélissa, einer Hohepriesterin. Bonello spielt mit Versatzstücken aus der populären Zombie-Pythologie, zeigt aber auch Interesse an der Voodoo-Kultur Haitis. Wie ernst es ihm damit wirklich ist, ist wie immer bei Bonello schwer einzuschätzen.

Auch der somnambule „Sick Sick Sick“ der brasilianischen Debütantin Alice Furtado (ebenfalls in der Reihe „Quinzaine des réalisateurs“) handelt von der Wiedervereinigung mit einem verblichenen Lover an einem verlassenen Küstenort. Furtado hat in Luiza Kosovski eine enigmatische, kaum greifbare Hauptdarstellerin gefunden, die sich mit animalischer Sicherheit durch den Dschungel bewegt. „Sick Sick Sick“ spielt in einer traumhaften Zwischenwelt, in der Krankheit auch Befreiung bedeuten kann. Es steckt also noch erstaunlich viel Leben im Untoten-Genre – das hätte nur mal jemand Jim Jarmusch verraten sollen. Und letztlich ist ja auch Tarantinos „Once Upon a Time in Hollywood“ eine Art Zombie-Hommage. Beziehungsweise ein Film, in dem eine berühmte Hollywood-Tote symbolisch wieder zum Leben erweckt wird.

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