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Das Kind, das ich war. Jennifer (Laura Dern) und Jenny (Isabelle Nélisse) im Missbrauchsdrama „The Tale“.

© One Two Film

Filmfestival in der Kulturbrauerei: Im Kino einmal um die Welt

Herausragende Filme und große Namen: Das Kinofestival „Around the World in 14 Films“ startet in der Kulturbrauerei.

Von Andreas Busche

Wenn Kinohelden mit ihren kindlichen Alter Egos in Kontakt treten, ist das ein sicheres Indiz dafür, dass die Vergangenheit nicht vergangen ist. Im Missbrauchsdrama „The Tale“ externalisiert die Regisseurin Jennifer Fox diesen inneren Dialog: Jenny (Laura Dern) stellt ihr 13-jähriges Ich (Isabelle Nélisse) zur Rede, drängt es dazu anzuerkennen, dass das, was ihr als Kind angetan wurde, kein rite de passage war, sondern ein Verbrechen. Schicht für Schicht werden die emotionalen Nuancen eines sexuellen Missbrauchs offengelegt: die Suche nach Bestätigung, die ungleichen Machtverhältnisse, die Scham. Fox erzählt in der HBO-Produktion „The Tale“, die seit der Premiere in Sundance im Januar mit Auszeichnungen überhäuft wurde, ihre eigene Geschichte, die sie mit Hilfe alter Tagebücher aufarbeitete. Eine schockierende Studie auch über die Fähigkeit der Psyche, schmerzhafte Erinnerungen zu verschließen.

Filme wie „The Tale“ sind ein Grund, warum sich „Around the World in 14 Films“ in Berlin etabliert hat, obwohl hier kein Mangel an Festivals herrscht. Diese wohl einzige Chance, den Film im Kino zu sehen, sollte man wahrnehmen. Weil Fox eine Geschichte erzählt, die in Zeiten von MeToo gar nicht oft genug wiederholt werden kann und ähnlich wie Eva Trobisch in „Alles ist gut“ die Täter-Opfer-Psychologie differenziert durchleuchtet. Auf einem Panel diskutieren die Regisseurinnen Cristina Gallego („Birds of Passage“), Meryem Benm’Barek („Sofia“) und Ash Mayfair („The Third Wife“) zudem über die sich wandelnden Arbeitsbedingungen für Regisseurinnen im Weltkino.

Neben deren drei herausragenden Filmen wartet die 13. Ausgabe von „Around the World“ wieder mit großen Namen auf. Aus Cannes sind unter anderem Nuri Bilge Ceylan mit „The Wild Pear Tree“, Jia Zhangkes sentimentales Gangstermelodram „Asche ist reines Weiß“ sowie die Palmengewinner „Shoplifters“ von Hirokazu Kore-eda und „Cold War“ von Pawel Pawlikowski vertreten. Letzterer eröffnet das Festival am Donnerstag, parallel zum Kinostart. Aus Venedig schaffen es Carlos Reygadas’ Ehedrama „Our Time“ und Yorgos Lanthimos’ scharfzüngige Kostüm-Intrige „The Favourite“ nach Berlin. Toronto schickt Claire Denis’ ScienceFiction-Opus „High End“, in Locarno feierte Jan Bonnys „Wintermärchen“ über eine rechte Terrorzelle Premiere.

Rückkehr eines alten Helden

Neu ist die Zusammenarbeit mit dem World Cinema Fund der Berlinale, aus dessen Repertoire vier Produktionen gezeigt werden, darunter die hinreißende kenianische Coming-out-Geschichte „Rafiki“ von Wanuri Kahiu und die sudanesische Buddy-Komödie „The Roundup“ von Hajooj Kuka. Ein bisschen gegenseitiges Schulterklopfen muss erlaubt sein. Die lokale Partnerschaft erweitert den internationalen Fokus um Produktionsländer, die auf den großen Festivals meist unter „ferner liefen“ gehandelt werden.

Auch über die Rückkehr eines alten Helden darf man sich freuen. „The Image Book“, mit dem Jean-Luc Godard sein inkonsistentes Spätwerk auf grandiose Weise krönt, gehört zu den Höhepunkten des Kinojahres. Innerlich hat sich Godard zwar längst vom Kino verabschiedet – und als sich politischer Kommentator zur Weltlage fragwürdig gemacht –, aber dieses dissonante Bilder- und Geräuschpastiche ist eine beunruhigende Flaschenpost aus dem Schweizer Exil. Ein melancholisches Eingeständnis auch der Grenzen des Kinos.

Eröffnung diesen Donnerstag im Kino in der Kulturbrauerei, 19 Uhr (ausverkauft). Bis 1. 12. Infos und Tickets: 14films.de

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