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Bal

© Berlinale

Filmfestival Sarajevo: Aufbruch aus den Ruinen des Krieges

Das 16. Filmfestival von Sarajevo demonstriert die Vitalität des Balkan-Kinos. Viele der Beiträge sind alte Bekannte, wie Berlinale-Gewinnerfilm "Bal".

Dieter Kosslick in T-Shirt und Sommersakko – ein ungewohntes Bild. Derart luftig gekleidet kann der Chef der Berliner Filmfestspiele daheim nie über den roten Teppich laufen. Vor dem Berlinale-Palast sieht man ihn meist mit Hut, Mantel und Schal. Bei der Eröffnung des 16. Sarajevo Filmfestivals war Kosslick einer der Stargäste auf der Bühne des Nationaltheaters. Er bekam ehrenhalber das „Herz von Sarajevo“ verliehen, als Anerkennung für seinen außerordentlichen Beitrag zur Wertschätzung des südosteuropäischen Films und für seine langjährige Unterstützung der Festivals.

Die Verbindungslinien zur Berlinale waren in der Tat allgegenwärtig. So fand nach dem Vorbild und mit der Unterstützung der Berliner zum vierten Mal ein Talent Campus statt, auf dem 66 junge Filmemacher und Schauspieler aus der Region Workshops von erfahrenen Kollegen besuchen konnten. Auch durch das Programm – mit fast ebenso vielen Neben- und Unterreihen wie bei der Berlinale – zogen sich Spuren des diesjährigen Berliner Filmfestivals. Zu sehen waren Bären-Gewinnerfilme wie „Bal“, „How I Ended Last Summer“, „Ghostwriter“ oder „Neukölln unlimited“ , eine Auswahl von Berlinale-Kurzfilmen sowie einige weitere Spielfilme. Darunter natürlich auch „Na Putu“ von Jasmila Zbanic, die aus Sarajevo stammt und vor vier Jahren mit „Grbavica“ (Esmas Geheimnis“) den Goldenen Bären gewann.

Gegründet 1994 noch unter serbischer Belagerung und täglichem Granatenbeschuss hat sich das Sarajevo Film Festival zum wichtigsten Filmfestival der Region entwickelt, wobei der Schwerpunkt auf Produktionen aus den Balkan-Ländern liegt. Im Wettbewerb um das „Herz von Sarajevo“ waren in diesem Jahr neun Spielfilme, davon wurden vier als Weltpremieren gezeigt – so viele wie noch nie zuvor. Von den 18 Filmen im Dokumentarfilm-Wettbewerb wurden sieben uraufgeführt.

Mit der Weltpremiere des außer Konkurrenz laufenden „Cirkus Columbia“ hatte das Festival zudem einen geradezu perfekten Eröffnungsfilm. Regisseur Danis Tanovic, der 2002 mit „No Man's Land“ überraschend einen Oscar gewonnen hatte und anschließend zwei Filme im Ausland drehte, wohnt inzwischen wieder in Sarajevo. Sein neues Werk führt ebenfalls zurück in seine Heimat. Die Tragikomödie spielt 1991 kurz vor Kriegsbeginn in einem herzegowinischen Dorf. Hierher kehrt Divko (großartig: Miki Manojlovic) nach zwanzig Jahren als Gastarbeiter in Deutschland zurück. Im roten Mercedes-Oldtimer und mit einer Jahrzehnte jüngeren Geliebten (Jelena Stupljanin) rollt er vor sein altes Haus, aus dem er seine Frau (Mira Furlan) und seinen erwachsenen Sohn Martin (Boris Ler) hinauswerfen lässt. Wie ein Gockel stolziert er durch den Ort, prahlt mit seinem Geld und der attraktiven Frau. Doch dann läuft sein schwarzer Kater Boni davon – und der Himmel über diesem jugoslawischen Sommer-Idyll verfinstert sich. Neue Abzeichen werden an die Jacken gesteckt, Freunde verkrachen sich, die ersten Leute fliehen.

Tanovic bricht dabei die Politik ganz beiläufig auf die private Ebene herunter, ohne jemals agitatorisch zu wirken. „Cirkus Columbia“ ist durchtränkt von Melancholie und Nostalgie, doch genau das hatte der Regisseur im Sinn. „Ich wollte zeigen, wie wir hier früher gelebt haben und wie wir wieder leben sollten. Wir haben unsere Unterschiede einmal geliebt“, sagt er. Sein auf Motiven eines Romans von Ivica Djikic beruhender Film gewann souverän den Publikumspreis.

Der Krieg und seine Folgen spielten auch in den beiden bosnischen Wettbewerbsbeiträgen eine Rolle. „Jasmina“ von Nedzad Begovic handelt von einer herzkranken Großmutter (Nada Djurevska), die mit ihrer Enkeltochter 1993 aus dem belagerten Sarajevo in ein kroatisches Küstenstädtchen flieht. Als sie ins Krankenhaus muss, vertraut sie das Baby ihrem Nachbarn Stipe (Zijah Sokolovic) an, der ein aufbrausender Säufer ist. Bald wandelt er sich zum treusorgenden Ersatzopa. Wie ihr Protagonist torkelt diese digital gedrehte Low-Budget-Produktion, untermalt von einem klischeehaften Soundtrack, zwischen Drama und Komödie umher. Bei seiner erstenVorführung im voll besetzten Nationaltheater wurde der Film mit langem Applaus gefeiert.

Deutlich stärker war der Wettbewerbskonkurrent „Svedah za Karima“, eine bosnisch-kroatisch-ungarische Koproduktion. Regisseur Jasmin Durakovic erzählt in seinem zweiten Spielfilm von Karim (Amar Selimovic), dessen Mutter im Krieg durch eine Mine getötet wurde. Er selbst verlor einen Unterschenkel. Jetzt ist er Minenbeseitiger in den Bergen rund um Sarajevo – nur hier kann er den Krieg vergessen. Diesen ruhigen, gläubigen Mann bei der Suche nach einem Platz in der Gegenwart zu beobachten, ist tief bewegend.

Zwei sehr unterschiedliche Jugendporträts waren weitere Höhepunkte im Rennen um das „Herz von Sarajevo“. Das harte sozialrealistische Drama „Inside America“ der österreichischen Regisseurin Barbara Eder dreht sich um Jugendliche, die auf eine Highschool in Texas gehen. Der Alltag der mehrheitlich mexikanischen Einwanderer-Kinder ist geprägt von Gewalt, Drogen und gestörten Beziehungen. Verglichen damit haben es die Jugendlichen in Nikola Lezaic’ Debütfilm „Tilva Ros“, der den mit 25 000 Euro dotierten Hauptpreis gewann, geradezu leicht. Für die Skater Toda (Marko Todorovic) und Stefan (Stefan Djordjevic) heißt es nach dem Sommer Abschied nehmen, weil Stefan zum Studieren nach Belgrad geht. Toda hingegen weiß nicht recht, was er nach der Schule machen will. Vor der imposant-zerklüfteten Kulisse der Kupfermine von Bor entspinnt sich eine zeitlose Geschichte um Freundschaft und Konkurrenz, die stilistisch stark von Gus van Sant inspiriert ist. Marko „Toda“ Todorovic und Stefan Djordjevic hatten zusammen mit ihren Freunden einige der autodestruktiven Stunts aus der MTV-Show „Jackass“ nachgespielt und ins Internet gestellt. Dadurch war Regisseur Lezaic auf sie aufmerksam geworden und schrieb ein Drehbuch rund um eine Skatergruppe. Er gab Marko und Stefan die Hauptrollen und baute einige ihrer Clips in den Film ein.

Das junge Team von „Tilva Ros“ war fast vollzählig nach Sarajevo gekommen. Mit großer Unbeschwertheit überfüllten die serbischen Kids das Podium der Pressekonferenz und posierten später lässig auf der Treppe des bosnischen Nationaltheaters. Zur Preisverleihung kam Stefan Djordjevic in kurzen Hosen, Marko Todorovic, der als bester männlicher Darsteller ausgezeichnet wurde, versteckte sich unter einer riesigen Baseball-Kappe.

Auf der Bühne sagen sie nicht viel mehr als „Danke“, aber das sehr verschmitzt. Mit der Wahl von „Tilva Ros“ stärkte die fünfköpfige Jury unter dem rumänischen Regisseur Cristi Puiu den völkerversöhnenden Geist des Festival und stattete einen vielversprechenden Nachwuchsregisseur mit einer motivierenden Förderung aus. Besser können Filmfestspiele eigentlich nicht zu Ende gehen.

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