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Filmkritik: Gekommen, um zu bleiben

Rosa von Praunheim plaudert in seinen „New York Memories“ munter an den Damen vorbei, die er eigentlich porträtieren will

Anna und Claudia kann man sich gut im Ensemble von „Sex and the City“ vorstellen. Sie sind Frauen in den besten Jahren. Sie sind attraktiv, stylish, selbstbewusst, üben qualifizierte Berufe aus. Aber sie sind nicht ganz so vom Leben verwöhnt wie Carrie, Charlotte, Miranda und Samantha, das erleichtert die Identifikation ein wenig. Als Deutsche in den USA hatten sie Startschwierigkeiten.

Besonders abenteuerlich erscheint die Biografie von Anna, die sich ihr Psychologiestudium als Go-go-Tänzerin verdienen musste und danach Gestalttherapeutin wurde. Einen Richter, der zu ihren Lieblingskunden gehörte, hat sie geheiratet und überredet, den Stripclub zu übernehmen. Das klingt so schrill und schräg, wie man es von einem Praunheim-Film erwartet, doch Anna und Claudia, die in New York ihr lesbisches Coming-out hatte, tragen ihre Erlebnisberichte ganz souverän vor. Nicht zum ersten Mal: Praunheim hat sie bereits in „Überleben in New York“ (1989) porträtiert. Zwanzig Jahre später haben sie sich nicht wesentlich verändert.

Eine radikale Veränderung behauptet lediglich der Kommentar des Regisseurs. Rosa von Praunheim schwärmt von der Stadt, in der er „den geilsten Sex meines Lebens“ gehabt habe, das auch noch mit Bodybuildern, und dass „Überleben in New York“ sein größter Erfolg gewesen sei, aber inzwischen habe sich alles verschlechtert: Die Null-Toleranz-Politik des ehemaligen Bürgermeister Rudolph Giuliani habe die Subkultur zerstört, vor allem die schwule, und das Leben hier sei gar nicht mehr bezahlbar. Claudia hält dem entgegen, dass sie sich im gesäuberten New York sicherer fühlt; sie war von einem Einbrecher vergewaltigt worden, hat heute weniger Angst, wenn sie abends das Haus verlässt.

Was Praunheim erzählt und was die Frauen erzählen, hat nichts miteinander zu tun. Praunheim bleibt auch den Beweis schuldig, dass das hier Gezeigte typisch für New York ist. Anstieg der Mieten, unsicherer Arbeitsmarkt – all das kann man sicher auch in London oder Moskau finden. Für eine Minute kommt ein schwarzer schwuler Obdachloser zu Wort, über den hätte man gern mehr erfahren, aber er verschwindet gleich wieder. Es regiert das Zufallsprinzip, der Film hat keine Struktur.

Wenigstens hat der Zufall Praunheim noch einen anregenden Gesprächspartner zugespielt: Isaac, der zwölfjährige Sohn des Kameramanns, galt ursprünglich als dessen Tochter. Dieser intersexuelle Teenager geht selbstbewusst mit seinem Status um und macht seine Gedanken im Internet öffentlich, auf erfrischend theorielose Weise. Mit New York hat das allerdings auch kaum etwas zu tun. Isaacs Heimat ist das Netz. Frank Noack

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