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Politisch wach. Lili (Lili Wang) fotografiert lokale Protest-Demos.

© Kairos Film

Filmkritik "Shanghai Shimen Road": Damals, als ich jung war

Ein Heranwachsen in China 1989, vorsichtige Liebesversuche und die Annäherung an Politik: "Shanghai Shimen Road", das autobiografisch inspirierte Debüt von Haolun Shu, ist ein Kino-Juwel - fernab aller spektakulärer Schlüsselreize.

Es gibt sie noch, die guten Filme, deren Protagonisten weder auf Smartphones noch in Flatscreens starren. Filme, die auch ohne ins Publikum gerichtete und abgefeuerte Schnellfeuerwaffen Spannung herzustellen vermögen. Filme, die deshalb aber keineswegs etwa ins Betuliche ausweichen müssen, auf Kutschfahrten und Krinolinenrascheln zum Beispiel. Filme, die in der alldonnerstäglichen Kinostartmaschine nicht immer gleich „Hier! Ich! Wichtig!“ schreien, sondern entdeckt sein wollen. Filme wie „Shanghai, Shimen Road“.

Der Chinese Haolun Shu ist 1972 in Shanghai geboren. Als in Peking das Massaker von Tiananmen stattfand, war er 17 Jahre alt. Sein Debüt erzählt von einem 17-jährigen Schüler in Shanghai im Jahre 1989, der Film ist ausdrücklich autobiografisch. Der junge Held fotografiert gern und träumt davon, eines Tages der Cartier-Bresson Chinas zu werden. Eher diskret als schüchtern schwärmt er für ein lebenslustiges Nachbarsmädchen und wird von einer zart in ihn verliebten Mitschülerin in die Welt der politischen Proteste eingeführt. Kein großes privates Drama, und das große politische nur aus der persönlichen Peripherie. So einfach kann ein schöner Film es sich machen, so schön einfach kann ein Film sein und einfach schön.

Xiaoli (Ewen Cheng) lebt mit seinem klugen, umsichtigen Großvater (Shouquin Xu) in einem alten Backsteinhaus, einem „Shikumen“ in Schanghai. Früher gehörte es der Familie; während der Kulturrevolution aber wurden viele Arbeiter einquartiert, darunter die Familie der hübschen Lanmi (Xufei Zhai), und nun gibt es eine Gemeinschaftsküche für alle. Das gesamte Quartier birst vor dörflicher Nachbarschaft. Erdrückend oder behütend? Xiaoli sieht darin vor allem ein ergiebiges Motiv für seine Fotokamera, das Geschenk seiner in Amerika neu verheirateten Mutter.

 Lanmi bringt es zum Flittchen der Westtouristen

Am liebsten aber fotografiert Xiaoli Lanmi, die selber von Amerika träumt und es bald doch nur zum Flittchen der Westtouristen bringt. Andererseits will die Funktionärstochter Lili (Lili Wang) ihm unbedingt ihre eigenen Fotos zeigen, sie, die beim Schulradio mitmacht und sich für die Jugendproteste in der Hauptstadt begeistert. Ob er sie dorthin begleitet? Doch Xiaoli ist ein Zauderer aus unausgesprochener, auch unaussprechlicher Liebe. Einer, der keine Wörter hat für Gefühle, allenfalls das Auge dafür.

Ein paar Monate in Xiaolis Leben und in denen von Lili und Lanmi und des Großvaters gehen so dahin, und das ist, mit den Augen des Kameramanns Shu Hao, wunderbar schwerelos anzusehen. Immer wieder werden Szenen zu Schwarzweißfotos, angehalten, eingefroren, aber schon belebt und bewegt sie wieder die Zeit. Bis Abschiede bevorstehen, so herzzerreißend und so unvermittelt beiläufig, wie jemand um eine Straßenecke biegt.

Dass das Stadtviertel mit den „Shikumen“ nicht mehr existiert, man ahnt es, man weiß es, Schanghai ist heute eine Wolkenkratzerstadt. Haolun Shu setzt seiner Jugend ein zartes Denkmal, er schaut hin und zurück ohne Nostalgie. Was bleibt, sind Bilder - wenn man Glück hat. So viel Zuschauerfreiheit, ein Gefühl in einen Film mitzubringen, ist selten.

In Berlin im Kino fsk am Oranienplatz

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