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Kultur: "Filmmuseum Berlin": Jannings Waschfrau braute Bier in Hollywood

Die Stiftung Deutsche Kinemathek sammelt seit ihrer Gründung 1962 alles, was mit der Geschichte des Films, des Kinos und zum Teil auch des Fernsehens verbunden ist. Ein Teil dieser Schätze wird im Berliner Filmmuseum, das am 26.

Die Stiftung Deutsche Kinemathek sammelt seit ihrer Gründung 1962 alles, was mit der Geschichte des Films, des Kinos und zum Teil auch des Fernsehens verbunden ist. Ein Teil dieser Schätze wird im Berliner Filmmuseum, das am 26. September 2000 eröffnet wird, permanent ausgestellt. Schon seit Jahren wird das Gesammelte eingeordnet und eingeschätzt, in Retrospektiven gezeigt und Kinogeschichte geschrieben.

Durch diese Arbeiten ist die Kinemathek zu einem der wichtigsten Betreiber der in Deutschland wenig institutionalisierten Filmgeschichtsschreibung und Filmtheorie geworden - neben einer Hand voll universitärer Institute und dem öffentlich geförderten Verein Cinegraph. Dass die Kinematheksväter anlässlich der Eröffnung des Filmmuseums Berlin schon in diesen Tagen einen dicken Textband veröffentlichen, kann nicht erstaunen. Noch weniger, dass dort brav Kapitel für Kapitel die deutsche Filmgeschichte abgehandelt wird.

Auf die frühen Stars folgt "Caligari" ("Hypnose und Krieg, Mord und Kokain"), auf die "gefährlichen Parallelwelten" der Weimarer Republik der Nationalsozialismus ("Normierung statt Individualität") und das Exil; den Abschluss formuliert "Nachkrieg und Gegenwart". Die Texte folgen wie Perlen an der Kette der geplanten Ausstellung. Sie sind gut recherchiert, bieten wenig Aussergewöhnliches und sind allesamt ein wenig langweilig. Nur die Mitherausgeberin der Zeitschrift "FilmExil", Heike Klapdor, weiß für ihr Thema zu interessieren, weil sie sich nicht allein am Kino orientiert, sondern in der Literatur, in der Theorie, in der Kritik Beistand sucht und Zusammenhänge erkennt.

Kein Hort der gewagten Theorie

Es mag schwer gewesen sein, nach dem 100. Geburtstag des Kinos neue Perspektiven zu entwerfen. Einerseits zeichnet die Stiftung Deutsche Kinemathek selbst als Mitherausgeberin der substanziellen "Geschichte des deutschen Films" (1993), andererseits hatten gerade in jüngerer Zeit Querdenker wie Karsten Witte oder Heide Schlüpmann provokante Neueinschätzungen des nationalsozialistischen und des frühen deutschen Kinos formuliert. Da liegt der Verdacht nah, dass man gerade zur Feier im Haus keine anderen Autoren finden mochte, als die üblichen Verdächtigen, die nahezu in jeder Veröffentlichung der Institution zu finden sind. Mag die Kinemathek ein Hort der Geschichtsschreibung sein, einer der gewagten Theorie war sie selten. Nichtzuletzt deshalb enttäuscht der Blick genau auf die Kapitel des Bandes, die aus der linearen Geschichtsausstellung ausbrechen und sich auf weitere Bild- und Denkfelder wagen: Da wird über Metropolen und das Transatlantische nachgedacht, über künstliche Welten und synthetische Realitäten. Viel Stoff zur Reflexion, selten wird er genutzt.

Das synthetische Kino kommt

Entweder reihen sich Details aneinander (so erfährt man über Emil Jannings, dass seine böhmische Waschfrau im Keller des Hollywood Boulevards 7367 ein Bier braute, das fern an echtes Pilsner erinnerte) oder gewagte Thesen laufen ins Leere: Da suspendiert sich Elisabeth Bronfen des angestrengt-häretischen Vergleichs zwischen Leni Riefenstahl und Marlene Dietrich mit der Bemerkung, dass "an den Geschichten, die diese Frauen erzählen, das Gelingen sowie das Scheitern jener symbolischen Fiktionen verhandelt wird, die unsere kulturelle Verarbeitung der deutschen Schuld am Holocaust und an der Massenvernichtung prägen." Fortan schreibt sie nur noch über Riefenstahl.

Nur ein Autor, Gundolf S. Freyermuth, hat einen offenen Blick und kümmert sich um die Imagination des Kinos. Er belegt den filmischen Traum von der "Befreiung von den Zwängen der materiellen Realität" mit Zitaten, die aus der Frühgeschichte des Kinos bis in seine Gegenwart reichen und spekuliert über Individualisierungs- und Subjektivierungsprozesse im kommenden, synthetischen Kino. Das hat Hand und Fuß und läuft zudem genau in die Richtung, die man sich von einer Publikation zu einer Eröffnung eines Filmmuseums wünschte. Kein Abgesang auf die tollen Zeiten von vorvorgestern. Keine trockene filmhistorische Abhandlung. Sondern eine vehemente Auseinandersetzung mit diesem geliebten und gehassten Kino. Gewagte Thesen über seine Vergangenheit und über seine Zukunft. Ob die nun "bio-digital stimuliert" sein werden, wie George Lucas sich das erträumt, das steht in den Sternen. Fest steht jedoch, dass sie viel mit dem Kino zu tun haben. Diese andere Erkenntnis wird vielleicht die Ausstellung des Filmmuseums eröffnen. Der Katalog ist lediglich ein brauchbares Nachschlagewerk.

Veronika Rall

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