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Humphrey Bogart als Rick und Ingrid Bergman als Ilsa in "Casablanca" (1942).

© dpa-Bildfunk

Filmmythos "Casablanca": Von Marseille nach Marokko

Humphrey Bogart, Ingrid Bergman, Rick's Café: "Casablanca" ist längst ein Filmmythos. Ein Buch erhellt die erstaunlichen Hintergründe.

Von Caroline Fetscher

Alle treffen sich bei Rick’s. So lautete der ursprüngliche Titel des Drehbuchs für den zum Mythos gewordenen Hollywoodfilm „Casablanca“ von 1943. Überhaupt war fast alles an dieser Produktion unter der Regie von Michael Curtiz anfangs anders, als der Mythos es bis heute suggeriert. Ort der Handlung sollte Marseille sein und Ronald Reagan die Hauptrolle spielen. Der Stoff hatte Mühe, die Filmmogulen in Kalifornien zu überzeugen, das Autorenpaar, das die Vorlage für einen der berühmtesten Filme der Geschichte geliefert hatte, wurde mit 20 000 Dollar abgespeist. Und nach der gelungenen Premiere im November 1942 in New York blieb das Werk zunächst liegen.

Doch parallel dazu nahmen die welthistorischen Ereignisse Fahrt auf, und mit ihnen begann der Siegeszug eines Narrativs, das für die alliierte Repräsentation des Zweiten Weltkriegs emblematisch wurde. Am bald gigantischen Erfolg von „Casablanca“ hatte dann indirekt auch der US-Präsident Roosevelt teil, auch Großbritanniens Premier Churchill, und auch der japanische Angriff auf Pearl Harbour mit seinen dramatischen Folgen für Amerikas Kriegseintritt.

Überaus lebendig, kenntnisreich und auf elegante Weise verknüpft Norbert Pötzl die Fäden dieser Filmgeschichte zu einer packenden Erzählung, die den Hintergrund von „Casablanca“ ausleuchtet und den Film im Fokus der zentralen Wende des Weltkriegs lokalisiert ("Casablanca 1943. Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges". Siedler Verlag, 256 Seiten, 20 €)

Die Realität und die Fiktion "Casablanca", es gibt erstaunliche Verbindungen

Nicht nur Cineasten haben beim Titel „Casablanca“ sofort die Szenen vor Augen, in denen Humphrey Bogart als amerikanischer Barbetreiber Rick im französischen Kolonialstädtchen Casablanca an Marokkos Küste sich von einem lakonischen Eigenbrötler zum lässig engagierten Antifaschisten wandelt. Seiner ehemaligen Geliebten, der von Ingrid Bergman gespielten Norwegerin Ilsa und deren Mann, dem Widerstandskämpfer Victor Laszlo, verhilft Rick zur Flucht aus Vichy-Frankreich über den Atlantik ins rettende Amerika. Selbstlos und ohne Pathos riskiert er dabei seine Existenz.

Das Buch rekonstruiert die Geschichte in der Geschichte, den Ort der Fiktion „Casablanca“ in der realen Historie, und die erstaunlichen Verbindungen zwischen beidem und reicht damit weit über die gängigen Making-of-Narrative hinaus. Als erste unter den meist jüdischen Hollywood-Produzenten scheuten sich die Warner Brothers schon 1933 nicht, offen gegen Hitlerdeutschland Position zu beziehen, ohne die typische Furcht, Propaganda in eigener Sache zu machen.

So erkannten sie auch das Potential des Stoffs, der dem Publikum Europa als den Kontinent faschistischer Menschenjagd mit Millionen panischer Flüchtlinge vor Augen hielt. Restriktive Immigrantenquoten in den USA hielten Flüchtende fern, der Weg über Casablanca und Lissabon nach Amerika war ein letztes Nadelöhr, durch das die Flucht noch möglich war. Gedreht im Sommer 1942 spielte die Handlung Ende 1941, kurz vor Pearl Harbour. Nach der Landung der Westalliierten in Nordafrika kam es im Januar 1943 zu einer geheimen Konferenz von Roosevelt und Churchill in der Nähe von Casablanca. Roosevelt hatte „Casablanca“ seinen Silvestergästen 1942 vorgeführt, und die Hotelvilla, die er beim Geheimtreffen bewohnte erhielt den Codenamen „Rick’s Place“.

De Gaulle bestellte mehrere Filmkopien für sich und seine Leute

Beide Politiker forderten jetzt die bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte. So avancierte der Name des Ortes Casablanca zum Schlüsselbegriff der Kriegswende, der Film zu deren populärer Illustration. Charles De Gaulle hatte in Französisch-Äquatorialafrika (A. E. F.) seine Truppen versammelt und, was kaum bekannt ist, Brazzaville zur Hauptstadt des Freien Frankreich erklärt. Dazu passt übrigens großartig der noch unübersetzte Band eines Experten für Vichy-Frankreich (Eric Jennings: La France libre fut africaine. Éditions Perrin, Paris 2014, 352 Seiten, 15, 99 €).

De Gaulle bestellte gleich mehrere Kopien von „Casablanca“ für sich und seine Leute im Exil. Überreich an solchen Details füllt Norbert Pötzls Buch mehr als eine Lücke, und es erfüllt einen kulturpolitischen Auftrag: Es weitet den Blick auf die Wahrheit hinter dem Mythos.

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