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Kultur: Filmregisseurin Angela Schanelec: Stillstand

Eine Missionarin ist sie wirklich nicht. Im Gegenteil.

Eine Missionarin ist sie wirklich nicht. Im Gegenteil. Die Berliner Filmregisseurin Angela Schanelec setzt auf Autonomie. Für sich selbst als Filmemacherin jenseits von Formaten und Verwertungsmaschinerie. Aber auch für die von ihr geschaffenen Figuren, deren Treiben sie in ihren Filmen fast teilnahmslos zu beobachten scheint. Und schließlich wird auch das Publikum sich selbst überlassen. Man darf ihre Filme mögen, muss aber nicht. Eigentlich macht sie Filme für sich selbst: um auf der Leinwand sehen zu können, was sie sich am Schreibtisch ausdenkt.

Nicht alle können mit soviel Freiheit umgehen. Manche Zuschauer fühlen sich von Schanelecs Filmen heftig provoziert und sind richtig sauer. Für viele aber sind sie ein Lichtblick im Mittelmaß der deutschen Filmlandschaft. Besonders Filmkritiker geraten da richtig aus dem Häuschen.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Als Schanelecs zweiter Langspielfilm "Plätze in Städten" vor drei Jahren im Forum der Berlinale Premiere hatte, kochte die Stimmung im Saal aggressiv hoch, als die Regisseurin sich nach der Vorführung den Fragen stellte. Der Vorwurf: Die Filmemacherin schikaniere das Publikum. Die Tatwaffe: Langsamkeit. Nun erwartete man von der Verantwortlichen eine - möglichst abstruse filmtheoretische - Erklärung für die erlittenen Qualen, um dem Hass eine Richtung zu geben. Doch die kam nicht. Stattdessen sagte sie immer wieder, sie habe ihren Film einfach so erzählt und geschnitten, wie es ihr persönlich richtig und künstlerisch angemessen erschienen sei. Bei ihrem nächsten Film, der jetzt in den Kinos angelaufen ist, sind die Reaktionen ähnlich.

Schon der Titel wirkt wie eine Kampfansage. "Mein langsames Leben" heißt er, und auch er schildert in ruhigen, klar gesetzten Einstellungen einige Monate aus dem Leben seiner Berliner Protagonisten. Eine Kampfansage? Schanelec, beim Treffen in einem Charlottenburger Café, weist diese Vermutung zurück. Und man nimmt der ernsthaften jungen Frau, die ihre Worte mit Bedacht wählt, sogleich ab, dass solche Provokation ihre Sache nicht ist. Reine Energieverschwendung. Ihre Energie wendet sie lieber für andere, wesentlichere Dinge auf. Mit Freunden oder verständigen Menschen reden. Das Buch für den nächsten Film schreiben. Und nebenbei auch noch zwei kleine Kinder großziehen, wenn auch nicht allein, sondern mit dem Theater-Regisseur Jürgen Gosch, mit dem sie zusammenlebt. Feindseligkeiten interessieren sie da wenig. Und wenn sie mit so klangvollen Namen wie Bresson oder Rohmer verglichen wird? Nun, zutreffend sei das sicher nicht, "doch ich verstehe schon, wo das herkommt", sagt sie ohne jeden Anflug von Koketterie.

Uns darf die Frage trotzdem interessieren: Womit kann man heute im Kino noch provozieren? Erstaunlicherweise mit dem Einfachsten. Mit Einstellungen, die länger dauern als nur ein paar Sekunden. Mit einer Kamera, die, kaum bewegt, auch dann noch hinschaut, wenn die Akteurin die Szene schon verlassen hat. Mit einer Tanzszene, die sich nur im Gesicht einer Beobachterin spiegelt, weil der Gegenschnitt auf die Tanzende selbst schlicht unterbleibt. Mit Figuren, denen nicht viel mehr oder weniger zustößt als vielen anderen Menschen im gleichen Alter, Mitte dreißig: Trennung und neue Lieben, Karriereplanung und Kinderfrage, Krankheit und Tod, Disco-Besuche und Treffen im Café. Nur, dass hier die üblichen erzähltechnischen Strategien und Plotpoints fehlen. Und dass Schanelec nicht auf emotionale Höhepunkte hinarbeitet, sondern eher zwischen den Zeilen erzählt, wodurch sie eine fast schwebende Entspanntheit erreicht.

Sie selbst mag ihre Figuren, auch wenn diese dem Publikum manchmal abweisend kühl erscheinen. Ja, sie bewundere sie für ihre Unaufgeregtheit und Gelassenheit, meint die Regisseurin, die ihre künstlerische Laufbahn 1982 mit einem Schauspielstudium in Frankfurt begonnen hat. Ist da das Schreiben nur eine andere Form, in fremde Rollen zu schlüpfen? "Ich kann nur beschreiben, was ich kenne." Also sind ihre Helden und Heldinnen - Begriffe, die hier eher unpassend sind - Fotografen und Studentinnen, nicht etwa Busfahrer oder Zeitungsredakteure. Und befinden sich an jenem Punkt im Leben, wo noch einmal, ein letztes Mal vielleicht, Weichen gestellt werden, vieles schon abgeschlossen und für wenige Dinge schon zu spät ist.

Zischen der Espressomaschine

Angela Schnanelec war achtundzwanzig Jahre alt, als sie sich entschloss, die Seiten zu wechseln. Sieben Jahre war sie erfolgreich Schauspielerin gewesen, mit Engagements in Köln, am Thalia Theater Hamburg, an der Berliner Schaubühne und in Bochum. Warum also hat sie sich 1990 als Filmstudentin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) eingeschrieben? Der Trennungsgründe gibt es einige: das Eingebundensein in den Theaterbetrieb. Die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer. Irgendwann habe sie eben begriffen, dass sie als Schauspielerin nicht glücklich werden könne.

Als Angela Schanelec 1995 ihr Filmstudium beendete, bekam sie für ihren dffb-Abschlussfilm "Das Glück meiner Schwester" den Spielfilmpreis der deutschen Filmkritik. Seither dreht sie ihre Filme unter den bekanntlich großzügigen Produktionsbedingungen des Kleinen Fernsehspiels des ZDF. Gerade sitzt sie am Buch zu ihrem nächsten, vierten Werk. Das Schreiben, bekennt sie, sei die schönste Phase im Enstehungsprozess eines Films. Man darf vermuten, dass sich ihr neues Projekt von seinen Vorgängern nicht allzu sehr unterscheiden wird. Doch es wird schwieriger werden, die kreative Autonomie gegenüber Förderinstitutionen und Geldgebern zu behaupten. Die notwendige Hartnäckigkeit für dieses Unternehmen traut man ihr durchaus zu.

Vorletzte Frage im Café: Und das Glück, hat es sich eingestellt? Ja, es funkelt manchmal, besonders beim Schreiben. Im Hintergrund klappern plötzlich überlaut Stühle und Geschirr. "Das finde ich schön, wenn man Töne wieder richtig wahrnimmt." Und dann lässt sich ihr fast nebenbei doch noch eine fast missionarische Äußerung entlocken: Dass es ja auch genau darum, um die Schärfung der Wahrnehmung, gehe in ihren Filmen. Die Espressomaschine zischt.

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