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Kultur: Filmreihe auf den Spuren des tibetanischen Leonardo

Wenn Wolf Kahlen Himalaya-Luft inhaliert, dann atmet seine in Höhe des Zwerchfells gehaltene Kamera mit. Oder das Bild friert ein.

Wenn Wolf Kahlen Himalaya-Luft inhaliert, dann atmet seine in Höhe des Zwerchfells gehaltene Kamera mit. Oder das Bild friert ein. Steht still wie die Zeit in Spiti, jenem unzugänglichen Hochwüstenland, in dem zwei der bislang neun Videodokumentationen des Berliner Medienprofessors entstanden. Schlagwörter wie Ruhe, Geduld, Intensität kommen beim Betrachten in den Sinn - und Langeweile, wenn die Bereitschaft zur Versenkung fehlt. Der Zuschauer ist eingeladen, als bescheidener Gast am Leben asiatischer Volksgruppen teilzunehmen. Er mache sich sein eigenes Bild hinter dem groß projizierten. Dieses offene Angebot, äußerst sparsam kommentiert, sanft nur manipuliert mit assoziativen, quer verweisenden Schnitten, entspricht dem philosophischen Konzept des bildenden Künstlers: Kahlens weltweit gezeigte Rauminstallationen versuchen, die Gleichzeitigkeit materieller und immaterieller Vorgänge zu erspüren - Charakteristikum auch seines Dahlemer Ausstellungsortes, der Ruine der Künste. Und seiner Filme über die Nutzbarmachung der Urenergie Chinas ("Dreimal Chi") oder die Selbstverständlichkeit, mit der ein Fünfjähriger als reinkarnierter Lehrer des 14. Dalai Lama gefeiert wird ("Vom Leben und Sterben und der Wiederkehr des Serkong Rinpoche"). Die wachsende Reihe, als work in progress erneut vom Steinplatzkino ins Programm gehievt, ist Ethnologie plus: plus Kunst, plus buddhistischer Weltsicht - und über allem Thangtong Gyalpo.

Wer bitte? Dem großen, verrückten Tibeter aus dem 14.Jahrhundert, gilt Kahlens Lebenswerk. Konsequent verfolgt er dessen Spuren seit 1895 auf Expeditionen, seit fünf Jahren hauptsächlich durch die Mongolei. Filme wie "Der Lama, die Jurte, das Orakel", "Dakinis in Jurten" oder "Von Beruf Lama" bieten spannende Einblicke in die neu belebte mongolische Buddhismus-Variante - streckenweise von Aberglauben durchsetzt. Sie belegen den weit reichenden Einfluss des Universalgenies Thangtong Gyalpo, der sich als Mediziner, Architekt, Dichter, Komponist, Schmied, Theatermacher und Philosoph den Ehren(film)titel "Leonardo Tibets" verdiente. Alle anderen Filme sind Nebenprodukte jener Forschungsarbeit.Die pure Beobachtung des schlitzohrigen Nachwuchslamas Zagdag, den Kahlen zwei Monate durch die Mongolei begleitete, bietet gleichwohl einigen kritischen Humor - hinter den Bildern, zwischen den Zeilen. Die Filme des Berliners funktionieren als Atempausen im hyperventilierenden Organismus der westlichen Welt.Filmbühne am Steinplatz: bis 27. 10. , 18 Uhr.

Norbert Tefelski

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