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Die Haare immer schön - da wird so manche junge Dame neidisch: Sean Penn als Cheyenne.

© delphi

Filmstart: "Cheyenne" - im Frisurenkabinett mit Sean Penn

Paolo Sorrentino setzt in "Cheyenne" einem alten Rockstar ein unverwechselbares Denkmal. Sean Penn spielt ihn als eine Art Forrest Gump und hält das Ganze zusammen.

Unter den Schauspielstars seiner Generation ist Sean Penn eine Ausnahmeerscheinung. „Schon Seans Frisuren in den bisherigen Rollen zeigen, wie kompromisslos er seine Figuren darstellt“, sagt Susan Sarandon. In der Tat: Von der blonden Matte seines Surfer-Dude in „Ich glaub, ich steh’ im Wald“ über das rötliche Kraushaar des koksenden Anwalts in „Carlito’s Way“ bis zur schwarzen Rockabilly-Tolle in „Dead Man Walking“ trägt Penn seine Wandelbarkeit bereits auf dem Kopf. Sein Film „Cheyenne – This Must Be the Place“ fügt dem Frisurenkabinett nun ein weiteres ausgefallenes Exemplar hinzu: die auftoupierte schwarze Gothic-Mähne.

Cheyenne ist eine Figur voller Widersprüche. In den achtziger Jahren war er ein Rockstar, und obwohl er mit Musik längst abgeschlossen hat, kleidet, schminkt und frisiert er sich noch immer wie damals. Er ist glücklich verheiratet, aber unglücklich. Er hat sein Geld gut angelegt und wohnt in einer komfortablen Villa, doch selbst zu Hause wirkt er fehl am Platz. Er ist ein Fremdkörper – wie das gläserne Stadion, das wie ein notgelandetes Ufo in seinem Dubliner Altbauviertel parkt. Dieser Schauplatz aufeinanderprallender Welten passt zu einem Film, dessen Prinzip darin besteht, disparate Elemente zusammenzuwerfen und aus den entstehenden Spannungen und Reibungen bestenfalls magische Momente zu erzeugen.

Regisseur Paolo Sorrentino hat sich mit seinen in Cannes gezeigten „Le conseguenze dell’amore“, „L’amico di famiglia“ und vor allem „Il divo“ den Ruf eines brillanten Stilisten erworben, der exzentrische Filme über exzentrische Männer dreht. „Cheyenne“ setzt dieses Werk auf völlig neue Weise fort – als ein mit europäischem Geld finanziertes amerikanisches Roadmovie. Anlass für Cheyennes Atlantiküberquerung ist der Tod seines Vaters, eines orthodoxen New Yorker Juden, zu dem er dreißig Jahre lang keinen Kontakt hatte. Er erfährt, dass sein Vater vergeblich einen Naziverbrecher namens Alois Lange jagte – und macht sich auf die Reise quer durch die USA, um diese Aufgabe abzuschließen.

Was aktiver und absichtsvoller klingt, als es ist: Tatsächlich treibt Cheyenne eher dahin, erlebt kuriose Situationen, macht Zufallsbekanntschaften, findet einiges über seinen Vater und am meisten über sich selbst heraus. Sean Penn spielt ihn als eine Art Forrest Gump, als kindliches Gemüt in einem gebrechlichen Körper, was wohl beides dem Exzess geschuldet ist. Und gibt mit regloser Miene mal Banalitäten, mal Weisheiten von sich.

Sorrentino ist ein Meister darin, ganze Sequenzen auf bestimmte Songs hin zu montieren: Anthony and the Johnsons’ „My Lady Story“ in „L’amico di famiglia“, Beth Ortons „Conceived“ in „Il divo“. Die Musik für „Cheyenne“ stammt von Talking Head David Byrne, der selber als ehemaliger Weggefährte Cheyennes eine Dialogszene hat, vor allem aber mit einem atemberaubenden Konzertauftritt für den Höhepunkt des Films sorgt. Nicht alles geht so gut auf wie in dieser Szene, vieles ist einfach skurril, manches manieriert. Sorrentino sprudelt über vor Ideen und lässt die meisten seiner zahlreichen Handlungsstränge versanden.

Und dann ist es Sean Penn, der das Ganze doch zusammenhält. Er macht sich die haarscharf an der Parodie gezeichnete Figur völlig zu eigen und verleiht ihr Würde und Herz. Kaum zu glauben, dass Penn einmal fest entschlossen war, das Schauspielen aufzugeben. „Ich hasse es“, sagte er seinem Freund Don Philips und drehte zwischen 1990 und 1997 nur zwei Filme. Nachzulesen ist dies in Richard T. Kellys unlängst im Riva Verlag (416 S., 19,99 €) erschienener Biografie – besonders lesenswert wegen der Aussagen aus Sean Penns illustrem Freundeskreis, der von Marlon Brando über Madonna und Bruce Springsteen bis zu Charles Bukowski reicht. Leider schließt der Text im Jahr 2005. Seitdem hat sich viel getan, Trauriges im Privaten (der Tod seines Bruders Chris, ebenfalls Schauspieler, und die Scheidung von Robin Wright), Glückliches im Beruf (Erfolg mit seinem Regiewerk „Into the Wild“, Oscars für „Mystic River“ und „Milk“) sowie verstärktes politisches Engagement.

Sean Penn spielt oft extreme Charaktere, und dabei ist leicht zu übersehen, dass es die kleinen Gesten, die leisen mimischen Regungen und die zarten Zwischentöne sind, mit denen er seine Figuren zum Leben erweckt. „Ich kenne niemanden, der die Art von Typen, die keine Sprache für ihre Gefühle haben, besser spielt. Um diese Sprachlosen sprechen zu lassen, tut Sean bestimmte Dinge, zu denen kein anderer Schauspieler fähig ist“, sagt Regisseur Neil Jordan. Wenn sich etwa der zwar früher allerlei berufstypischen Süchten, nicht jedoch dem Rauchen zugeneigte Cheyenne schließlich zum Zeichen seiner Gereiftheit eine Zigarette anzündet, dann ist das gewiss ein origineller, etwas ketzerischer Einfall Sorrentinos. Penns Leistung ist es, daraus eine bewegende Szene zu machen.

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