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Filmwelt: Hollywoodglanz zum Mexikanertarif

Wenn Hollywood-Blockbuster in Deutschland produziert werden, ist das meistens das Ergebnis knallharter Kalkulation: Deutsche Filmschaffende gelten als billige Arbeitskräfte. Projekte wie Tom Tykwers neuer Film wollen der systematischen Ausbeutung entgegenwirken.

Am heutigen Montag beginnen im Studio Babelsberg die Dreharbeiten zu dem Megaprojekt „Wolkenatlas“. Die vielfach verschlungenen Episoden des gleichnamigen 700-Seiten-Romans von David Mitchell umfassen einen Zeitraum von fast 700 Jahren und driften tief ins Sciencefictionhafte. Um die Materialmenge in den Griff zu kriegen, wird der Film parallel von zwei Teams gedreht, angeführt von Tom Tykwer und den Brüdern Andy und Lana Wachowski.

Dafür bringen die Regisseure ihre langjährigen Produzenten mit: X-Filme-Geschäftsführer Stefan Arndt ist ein enger Partner Tykwers seit dessen Debüt „Die tödliche Maria“. Der Australier Grant Hill, der bereits „Titanic“ verantwortete, produziert die Wachowski-Filme seit den legendären „Matrix“-Sequels.

Auch die Besetzung ist megaprominent: Für die Hauptrolle wurde Tom Hanks verpflichtet, in weiteren Rollen sollen Susan Sarandon, Ben Wishaw und Halle Berry zu sehen sein. Hinzu kommen für europäische Verhältnisse schwindelerregend hohe Kosten: Rund 100 Millionen Euro soll der Film verschlingen. Ob er damit die teuerste deutsche Produktion aller Zeiten ist, hängt davon ab, wie man die sechs Millionen Reichsmark umrechnet, die 1927 für „Metropolis“ ausgegeben wurden.

Sehr viel mehr ist über das Projekt in diesem Stadium nicht zu erfahren, neugierig aber macht es allemal. Tatsächlich ist die Zeit reif für einen neuen deutschen Blockbuster. Zumal sich das Studio Babelsberg seit Beginn des Jahrtausends zu einem Anziehungspunkt für Großproduktionen entwickelt hat, von Polanskis „Pianist“ über Tarantinos „Inglourious Basterds“ bis zu Roland Emmerichs Shakespeare-Film „Anonymous“, der im November ins Kino kommt. Der lautstarke Jubel darüber, dass Deutschland bei internationalen Produktionen wieder eine Rolle spielt, begleitet seit Jahren alle größeren Filmpremieren und Festivals.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Ungerechtigkeiten bei deutschen Drehorten üblich sind.

Was im allgemeinen Wir-sind-wieder-wer-Getöse weitgehend untergeht, sind nüchterne Fakten und weniger erfreuliche wirtschaftliche Faktoren, die überhaupt erst dazu führen, dass Deutschland als Drehort wieder eine Rolle spielt. Vor allem sind es Deutschlands komfortable Förderstrukturen, die internationale Projekte anziehen. So rechnen die „Wolkenatlas“-Produzenten damit, zwölf bis 16 Prozent (also zwölf bis 16 Millionen Euro) durch solche Zuschüsse abzudecken: geleistet vom Deutschen Filmförderfonds, der Filmförderungsanstalt und dem Medienboard Berlin-Brandenburg. Andere Länder wie Kanada oder Neuseeland locken mit eigenen Anreizsystemen, Standorte wie Budapest, Prag oder das marokkanische Ouarzazate bieten besonders günstige Arbeitskräfte. Die Entscheidung, wo gedreht wird, ist das Ergebnis knallharter Kalkulation.

Filmproduktionen kommen nicht wegen der hundertjährigen Geschichte nach Babelsberg, und auch nicht vorrangig wegen der dort vorzufindenden Kompetenz. Zwar gibt es im Produktionsbereich durchaus Spitzenpositionen für deutsche Mitarbeiter – schließlich ist es wegen der Förderungen notwendig und lukrativ, deutsche Koproduktionen einzugehen. Doch die meisten hiesigen Filmschaffenden, die an internationalen Projekten beteiligt sind, arbeiten oft überqualifiziert und unterbezahlt in subalternen Assistenz- und Fahrerjobs. Hinter vorgehaltener Hand ist in der Branche von „white Mexicans“ die Rede. Die Attraktivität Deutschlands für internationale Produktionen mag die funkelnde Seite der Medaille sein; die andere erfordert die Bereitschaft, sich ausbeuten zu lassen.

Wenn etwa den eingeflogenen Mitarbeitern ihre Überstunden vergütet werden, den deutschen aber nicht. Wenn die Hollywood-Maskenbildnerin das Vielfache des Gehalts ihrer deutschen Kollegin verdient. Wenn der amerikanische Szenenbildner einen deutschen Partner hat, der zwar genauso qualifiziert ist und genauso viel arbeitet, aber bezahlt wird wie ein Assistent. Und wenn ausgebildete Drehbuchautoren für einen Hungerlohn als Fahrer arbeiten.

Jeder, der mit internationalen Produktionen zu tun hat, kennt solche Fälle oder hat sie selbst erlebt – offen darüber sprechen möchte niemand. Zu groß ist die Angst, sich ins Abseits zu stellen, zumal es nur wenige Großprojekte gibt und sich die meisten Beschäftigten mühsam von Film zu Film hangeln. Wer kann es sich da erlauben, schlecht über einen Hollywood-Regisseur zu sprechen oder auf arbeitsrechtliche Verstöße hinzuweisen?

Ein Insider, der an mehreren internationalen Projekten beteiligt war, erläutert die Sachzwänge, die zu Ungleichbehandlung führen. „Ungerechtigkeiten gibt es, Punkt“, sagt er. „Es findet immer und überall Ausbeutung statt.“ Verhindern lasse sich das oft nicht. Wenn eine Hollywood-Schauspielerin ihre eigene Visagistin mitbringen möchte, kann ihr nicht einfach jemand anderes vor die zu pudernde Nase gesetzt werden. „Was nützt es, dass ich für die Gage drei deutsche Maskenbildner engagieren kann, wenn sie der Schauspielerin nicht die Sicherheit geben, die sie braucht?“

Ebenso bringen Regisseure, die nach Babelsberg kommen, in der Regel ihre Szenenbildner mit. Meist sind sie jedoch der Sprache nicht mächtig und kennen sich in der Stadt nicht aus. Also brauchen sie Assistenten, die ihre künstlerische Vision teilen und sich im Fundus und in den einschlägigen Läden zurechtfinden, kurz: Leute, die die Aufgabe auch eigenverantwortlich meistern könnten. Nur: Im Abspann werden sie bloß als Assistent genannt und auch so bezahlt.

Warum wollen sich deutsche Filmschaffende die Unterbezahlung gefallen lassen? Lesen Sie auf der nächsten Seit weiter.

Warum verkaufen sich Menschen derart unter Wert? Ganz einfach: Bei einer großen Produktion als Assistent zu arbeiten statt bei einer kleineren als Abteilungsleiter, kann sich lohnen. Wer für wenig Geld an einem Tarantino- oder Polanski-Film mitwirkt, investiert in die eigene Filmografie. Wobei nicht jeder Posten dazu geeignet ist, sich im Filmgeschäft hochzudienen. Der Drehbuchautor, der als Fahrer jobbt, hofft meist auf einen unwahrscheinlichen Zufall, auf die Freundschaft mit einem Hollywood-Star oder das Interesse eines Produzenten.

Die Ungleichbehandlung bei den Überstunden ist zudem auf die unterschiedlichen Weisen zurückzuführen, wie in den USA und in Deutschland Arbeit organisiert ist. Die US-Gewerkschaften schreiben Mindestlöhne vor, Regisseure verdienen mindestens 16 500 Dollar pro Woche, Regieassistenten fast 4500 Dollar, und es gibt feste Sätze für die Überschreitung der vereinbarten Arbeitszeit.

Dagegen ist das deutsche Arbeitsrecht eher restriktiv geregelt, maximale Arbeitszeit und Mindestruhezeit sind gesetzlich festgelegt. Geleistete Überstunden werden oft schon deshalb nicht abgerechnet, weil sie gegen diese Bestimmungen verstoßen.

Wie stark diese Asymmetrien sich zuspitzen, hängt ganz von der Mentalität und Motivation der Verantwortlichen ab. Wer vor allem möglichst billig drehen will, investiert nicht viel Energie in die Vermeidung von Ungleichbehandlungen. Ein ehemaliges Crewmitglied berichtet von einem später weltweit gerühmten Projekt, bei dem aus den nichtigsten Gründen reihenweise Mitarbeiter entlassen wurden. Bei einem anderen habe eine Zweiklassengesellschaft geherrscht zwischen der importierten Filmkompetenz und den ortsansässigen Arbeitskräften: „Viele Deutsche im Art Department fühlten sich von der englischen Crew wie Rumänen behandelt.“

Aber es gibt auch Gegenbeispiele, und sie kommen ebenfalls aus Babelsberg. Beim „Vorleser“ etwa wurden wichtige Teile des Filmteams in Deutschland rekrutiert, mehr noch bei Tykwers „Parfum“ und „The International“ sowie aktuell bei Emmerichs „Anonymous“. „Wolkenatlas“ bildet nun den nächsten Schritt. Erstmals bei einem Projekt solchen Maßstabs wurde das, was im Produzentenjargon „Wertschöpfungskette“ heißt, komplett in Deutschland angesiedelt.

Laut Produzent Stefan Arndt wird der hierzulande initiierte Film aus Deutschland heraus vorangetrieben und in Deutschland produziert und verwertet. „Alles bleibt hier“, sagte er in einem Interview. „Das ist keine Konstruktion wegen Steuervorteilen oder Zuschüssen. Die deutsche Branche hat sich so professionalisiert, dass dieses Projekt nun möglich ist.“ So empfiehlt sich „Wolkenatlas“ als Modell für die Nachhaltigkeit des Filmstandorts Deutschland. Wenn es nun noch gelingt, die Erfahrung der ansässigen Filmschaffenden zu einem Faktor in den Rechnungen der Produzenten zu machen, werden hier in auch in Zukunft große Filme -gedreht.

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