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Parade der Untoten. Szene aus „From the Dark“.

© Hugo Glendinning.

Finale des „Foreign Affairs“-Festivals: Angst essen Abschied auf

Ein letztes Mal gemeinsam durch die Nacht: Das britische Kollektiv Forced Entertainment beendet das „Foreign Affairs“-Festival mit einer Performance über kleine und große Ängste.

Von Sandra Luzina

Noch einmal alles auskosten, bevor es zu Ende geht. Sich verausgaben bis zur völligen Erschöpfung. Das war wohl die Idee. Die letzte Nacht von „Foreign Affairs“ gehörte dem britischen Kollektiv Forced Entertainment. Es ist die allerletzte Nacht – und die wird durchgemacht. Das Festival der Berliner Festspiele wird nach nur fünf Jahren schon wieder abgeschafft, doch unter den Zuschauern herrscht ausgelassene Partystimmung.

Es ist überwiegend ein jüngeres Publikum, das herbeigeströmt ist zu „From the Dark“, einer langen Reise durch die Nacht. Forced Entertainment sind Experten für „durational performances“, Aufführungen, die zwischen sechs und 24 Stunden dauern. Für die einzige Vorstellung von „From the Dark“ haben sie auf Material aus ihrer 24-Stunden-Performance „Who Can Sing A Song to Unfrighten Me?“ von 1999 zurückgegriffen. Die Berliner Version beginnt um 21.21 Uhr; als Spieldauer ist angesetzt: bis zum Sonnenaufgang.

„Foreign Affairs“ suchte zwar immer die Überforderung, doch diesmal gibt’s die Light-Variante. Das Programm: Wach bleiben, sich mit den eigenen Ängsten konfrontieren und gemeinsam die unheimliche Dunkelheit durchqueren, um im Morgengrauen zu neuer Klarheit zu finden. Es sind Reste magischen Denkens, die sich hier manifestieren. Und wie so oft sind es intime Geständnisse, die die Performer machen. Die Aufführungen von Forced Entertainment haben immer etwas von Therapiesitzung.

Ein Katalog der Ängste

Nur: Sind die Briten diesmal etwa als Rauswerfer angeheuert worden? Ein Darsteller im Gorillakostüm macht ein paar müde Step-Schritte. Abwechselnd schlüpfen die Performer in alberne Tierkostüme, werden abgeleuchtet und simulieren dann einen Bühnentod, um sich bald wieder aufzurappeln. „ALIVE“ (lebendig) oder „DEAD“ (tot) schreibt eine Frau jedes Mal mit Kreide auf eine Tafel. Große Fragen stehen damit im Raum, doch bis zum ersten Monolog vergeht mehr als eine halbe Stunde. Derweil lassen apathische Hula-Tänzerinnen ihre Hüften kreisen. Leiernde Hammondorgelklänge lullen das Auditorium ein – und die Performer schalten in den Energiesparmodus. Sie strengen sich noch nicht mal an, um wenigstens den lausigen Entertainer zu markieren.

Richard Lowdon ist der Erste, der sich als Angsthase outet. „Ich fürchte mich vor kleinen Tieren“, hebt er an, was mit Gelächter quittiert wird. Vor großen Tieren fürchtet er sich ebenfalls. Wie auch vor großen Gruppen von betrunkenen Frauen und von Männern ebenso. Ein ganzer Katalog wird hier aufgelistet: kleine und große Ängste, archaische und aktuelle Befürchtungen. Zu jung zu sterben, zu lange zu leben – diese Sorge mögen viele nachempfinden. Auch an die Angst vor „engstirnigen Nationalisten“, wohl eine Anspielung auf den Brexit, lässt sich anknüpfen. Während Lowdon sich noch durchs Dickicht seiner Ängste kämpft, trippeln die Performer als Baumstämme verkleidet auf die Bühne – ein schreckhafter Wald. Bis die Bäume zu sprechen beginnen. Sie befehlen den Zuschauern, mit dem Glotzen aufzuhören und nach Hause zu gehen. Und sie drohen: „Entweder ihr geht – oder wir.“

Das Intermezzo wird wieder zur Geduldsprobe. „Magic“ steht diesmal auf der Tafel; der Trick mit dem Tuch funktioniert nicht, wird aber erbarmungslos wiederholt. In Skelett-Trikots geben die Briten dann eine Kostprobe schwarzen Humors. Nacheinander berichten sie, wie sie sterben möchten und ersinnen dabei auch ausgefallene Todesarten. Makaber.

Am Ende enttäuschend

Gruselig ist die Brexit-Fabel, die sie im Repertoire haben. Die Darsteller setzen sich eine goldene Pappkrone auf und werden zu Märchenerzählern wie in dem Marathon „And on the Thousandth Night“. Sie denken sich Geschichten aus über habgierige Könige und durchtriebene Königinnen, bis ein Kollege sie unterbricht und den Faden weiterspinnt.

Bei diesen improvisierten Gutenachtgeschichten sind plötzlich alle hellwach. Doch auch hier gibt es gewiefte Erzähler, die eine oder andere verführerische Scheherazade – und solche, bei denen man sich langweilt. Schon lahm, wie Forced Entertainment hier nur ihre Stilmittel zitieren. Nach drei Stunden ist die Befürchtung endgültig Gewissheit: So abgründig, wie sie sich geriert, ist diese Aufführung nicht – trotz Angsthasen und Sensenmännern. Auch führt die Dehnung der Zeit, man ahnte es, keineswegs zwingend zu intensiverer Wahrnehmung. Die Macht der Nacht? Ein Rausch sieht anders aus.

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