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Kultur: Flackern, flüstern, fliehen

Verwirrspiele im Miniatur-Kino: Das kanadische Künstlerduo Janet Cardiff und George Bures Miller verzaubert mit seinen „Berlin Files“

Für dieses Kino muss der Besucher einen schmalen dunklen Gang passieren, denn kein gewöhnliches Filmtheater erwartet ihn hier, er betritt eine Installation. Irritation ist denn auch die erste Reaktion auf das, was er für einen Anfang hält: „Verdammt!“, sagt eine Männerstimme unterdrückt; eine Leuchtstoffröhre beginnt auf der Leinwand zu flackern und droht immer wieder auszugehen. „Ganz ruhig, wir haben Zeit“, beschwichtigt ihn eine weibliche Stimme flüsternd. Dann wird es endgültig dunkel in dem zwölfeckigen Gehäuse, einem Miniatur-Kinosaal.

Eigentlich könnte dies die letzte Einstellung von „The Berlin Files“ sein, einer Filminstallation des kanadischen Künstlerpaares Janet Cardiff und George Bures Miller, deren Stimmen in dem Gehäuse wohnen. Oder eben der Beginn. Es kommt darauf an, wann man ihre Kino-Kemenate betritt, genauer: zu welchem Zeitpunkt der Besucher in die Geschichten ihres zehnminütigen Loops einsteigt. Plötzlich donnert eine S-Bahn über eine triste Straße hinweg. Ihr ohrenbetäubendes Gerumpel erfüllt aus zwölf Lautsprechern den ganzen Raum, in dem gerade noch das Gewisper von Cardiff und Miller zu hören war, die sich vergeblich an einem verklemmten Dia zu schaffen gemacht hatten.

Das Dia hat unversehens laufen gelernt, Film ab: Wir befinden uns umtost vom S-Bahn-Lärm mitten im schönsten Berlin-Klischee, einer Ecke der Spandauer Vorstadt, an der schon zahllose Kamerateams gedreht haben, weil es hier noch so pittoresk ostig aussieht mit abblätternden Fassaden und im Wind schaukelndem Straßenlicht. Fast erwartungsgemäß kommt jetzt eine junge Frau im hellen Trenchcoat die Straße heruntergelaufen. Mit einer solchen Szene könnte ein klassischer Agentenfilm beginnen, ein Ost-West-Drama mitten im Kalten Krieg. Aber das ist bereits das Ende der nächsten Episode.

Janet Cardiff und George Bures Miller spielen mit der Erwartung des Kinobesuchers, und doch machen sie bildende Kunst. Die Arbeiten des seit den achtziger Jahren zusammenarbeitenden Duos werden vornehmlich auf Kunstausstellungen, in Museen gezeigt. Den Beginn machte vor neun Jahren Janet Cardiffs Audio-Walk, mit dem sie den Besucher der „Skulpturen.Projekte Münster“ auf einen der außergewöhnlichsten Stadtspaziergänge schickte.

Mittels eines binauralen Tonsystems hörte der mit Walkman ausgerüstete Besucher von allen Seiten Geräusche, rechts das Rascheln des Laubs oder Hupen, links das Flüstern des vermeintlichen Begleiters. Die Methode hat das Duo unter Hinzunahme filmischer Mittel immer weiter verfeinert. 2001, dem Jahr ihres DAAD-Stipendiums, schufen sie „The Paradise Institute“, eine komplexe Mixtur aus Kino, Theater und Sound, mit der sie den kanadischen Pavillon auf der Biennale di Venezia zum beliebtesten Besucherziel machten. Zwei Jahre später war die Installation in Berlin im Hamburger Bahnhof zu sehen. Zuletzt bespielten die beiden Künstler mit „Ghost Machine“ das komplette Berliner Hebbeltheater, indem sie den Besucher mit einer Videokamera zum Hauptdarsteller seiner eigenen kleinen Hauserkundung machten.

Und nun „The Berlin Files“. Friedrich Meschede, Leiter des Künstlerprogramms des DAAD, zeigt dieses Kunst- Kino-Zwitterwerk aus Anlass der Filmfestspiele. Das hat bei ihm Methode, jedes Jahr im Februar. Im Vorjahr war es die großartige Ausstellung des belgischen Videokünstlers David Claerbout in der Akademie der Künste, den Beginn machte 1999 der Amerikaner Stan Douglas in der gläsernen Halle der Neuen Nationalgalerie mit seiner gigantischen Slowmotion-Installation, der auf 24 Stunden Länge gezogenen Duschszene aus dem Hitchcock-Klassiker „Psycho“.

Nach Auftritten der Gastkünstler in anderen Ausstellungshäusern ist „The Berlin Files“ nun in der hauseigenen Galerie zu sehen, die der DAAD vor einem Jahr in der geschichtsträchtigen Zimmerstraße bezogen hat, einen Katzensprung vom Checkpoint Charlie entfernt. Die Adresse ist ein idealer Spielort für das cineastische Zauberwerk des kanadischen Duos, dessen Titel auf Kriminaldossiers anspielt, die sich durcheinander gewürfelt in einer Akte befinden. Mit diesem anspielungsreichen Sammelsurium wollte sich das Paar 2003 eigentlich aus Berlin verabschieden, nachdem es ohnehin länger geblieben war. „Ursprünglich trug es den Titel ,Good bye Berlin’“, erzählt Miller, „aber das klang nicht so gut“.

Und passte plötzlich nicht mehr, denn kurz danach fand er mit seiner Partnerin eine neue, größere Bleibe in einem ausgebauten Loft, gleich neben dem Moabiter Poststadion. Die eine Hälfte des Jahres wohnt das Künstlerpaar hier, den Sommer verbringt es in seiner kanadischen Heimat in British Columbia, mitten in der Natur. Berlin aber erlaubt den beiden ein Leben inmitten einer internationalen Künstler-Community; rund um ihr neues Quartier haben sich mittlerweile zahlreiche Ateliers angesiedelt. Entsprechend schwärmt Janet Cardiff davon, wie einfach es ist, vor Ort die richtigen Leute zu treffen, Tontechniker, Cutter und all die anderen Experten, die sie für ihre technischen Tüfteleien brauchen.

Zum Beispiel die akustisch perfekte Überblendung für jenen Auftritt eines Sängers an der Theke der White Trash Bar. Während der in seinem weißen Glitzeranzug hingebungsvoll David Bowies „Rock’n’Roll-Suicide“ intoniert, zoomt die Kamera nach hinten auf eine verheulte junge Frau, die ungläubig auf ihr Handy starrt. Aber da befinden wir uns bereits in einer weiteren „Berlin Files“- Episode, deren loses Ende jeder Besucher für sich selbst mit den anderen Handlungselementen verknüpfen muss. „Nur Geduld, wir haben Zeit“, wird wieder Janet Cardiffs Stimme hörbar. Und jetzt klingt es, als ermunterte sie den Besucher, in sich hinein zu hören und selbst die kleinen Geschichten in seiner Stadt zu entdecken.

DAAD-Galerie, Zimmerstr. 90/91, bis 18. März; Mo – Sa 11 – 18 Uhr. Janet Cardiff: „The Walk Book“, Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln 2005, 40 €.

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