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Kultur: Flaggenzeichen an der Wand

Baustelle Zukunft: Wie sich die unruhigen Staaten des Orients auf der Venedig-Biennale präsentieren

Der Jasmin blüht in diesem Jahr besonders verschwenderisch auf der Insel San Servolo. Das kann kein Zufall sein. Denn ausgerechnet auf dieser Insel zwischen Lido und Venedig haben Kuba und Syrien bei der 54. Venedig-Biennale, der wichtigsten Leistungsschau zeitgenössischer Kunst, ihre Länder-Pavillons eröffnet. Wie schön, wenn gerade hier der Jasmin duftet – die Pflanze wurde bekanntlich zum Symbol der erfolgreichen tunesischen Revolution und ihrer Nachfolger.

Hunderte Todesopfer hat der Aufstand in Syrien seit März bisher gefordert. Entsprechend nervös war man am Ausstellungsort. Das Aufsichtspersonal wimmelt Berichterstatter ab. Kein Pressepapier, keine Interviews. Der italienische Kurator bringt in seiner Eröffnungsrede neben dem Besonderen der syrischen Kunst vor allem allgemein menschliche Werte ins Spiel – so wie es autoritären Regimen gefällt, wenn sie die offizielle Kunst ihres Landes unters Volk bringen.

Doch irgendwann geht das auch nicht mehr: Bahrain, das in Venedig Premiere gefeiert hätte, und der Libanon zogen kurzfristig ihre Teilnahme zurück. Gespannt war man auf den ägyptischen Beitrag. Saudi-Arabien war erstmals vertreten. Der Irak war nach langer Pause mit der Gruppenausstellung „Wounded Water“ dabei, ebenso der Nachbar Iran.

Schon deshalb zählt die Venedig-Biennale 2011 zu den politischen Biennalen: Die überraschende Großwetterlage in den arabischen Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas verlangt Stellungnahmen. Doch bilden sich die Umbrüche in Venedig auch ab? Werden Fragen nach den Akteuren beantwortet, nach dem Status quo und danach, wie es weitergeht?

Nahe an den Ereignissen und ergreifend zeigt sich der ägyptische Pavillon in den Giardini. Mit dem deutschen Pavillon hat er gemeinsam, dass der Künstler, der ihn hätte gestalten sollen, nicht mehr lebt. Ahmed Basiony wurde am 28. Januar auf dem Tahrir-Platz von Heckenschützen getötet. Der 32-Jährige machte Videoaufnahmen von den Demonstrationen. Ihnen sind nun auf fünf großformatigen Projektionsflächen Szenen einer öffentlichen Performance gegengeschnitten, in der Basiony in einem Plexiglaskasten dreißig Tage auf der Stelle trat. Bild und Gegenbild zu einer angepassten Gesellschaft.

Politisch wie nie wirkt in Venedig diesmal auch das Prinzip der Länderpavillons. Neunundachtzig Staaten sind in Venedig vertreten, so viele wie nie. Doch das Selbstverständnis der nationalen Repräsentation hat sich auf breiter Front verändert. Von Deutschland über Israel bis Polen sieht man Kunst als partizipatorische Plattform, nutzt sie als sinnlich aufgeladene Bühne, auf der selbstkritisch essenzielle gesellschaftliche und politische Fragen verhandelt werden.

Die Performance des Aktivisten und passionierten Bloggers Basiony etwa zählt zu den Live-Events, auf die auch Facebook und Twitter nicht verzichten können. Seine Installation kommt in Venedig zur rechten Zeit an den rechten Ort. Derartig schöpferische „State of the Art“-Relevanz war von den Ländern, in denen die sprudelndsten Elemente nach wie vor die Petro-Dollars sind, nicht zu erwarten. Die Vereinigten Arabischen Emirate etwa setzen in den Arsenale auf Kitsch, der sich an Caspar David Friedrich orientiert, Fototapeten mit Frauen-amMeer-Motiven sowie Baustellenschrott in Eismeerlandschaften, der offenbar die Assoziation „Baustelle Zukunft“ heraufbeschwören soll. Da ist man vom ersten Auftritt Saudi-Arabiens zunächst verblüfft. Denn man zeigt hier die Arbeit zweier Frauen aus Mekka, die äußerlich einige Kriterien zeitgenössischer Kunst aufweist: eine stimmungsvolle Glitzer-Sound-Skulptur, die gut in jede Hotellobby passt und sogar eine „queere“ Imagepflege bedient.

Verheißungsvoll blüht der Jasmin auch in den Katalogseiten der als „Collateral Event“ geführten Ausstellung „The Future of a Promise. Contemporary Art from the Arab World“ im Stadtteil Dorsoduro. Im lang gestreckten Ziegelgemäuer eines alten Salzmagazins versammelt sich eine illustre Schar von 22 Künstlern aus dem arabischen Raum. Die Mehrheit stammt aus Algerien und dem Libanon; dazu gehören so bekannte Namen wie Kader Attia, der in Anspielung auf Brancusi eine unendliche Säule aus gestapelten Megaphonen präsentiert, oder Mona Hatoum mit einem ihrer bekannten Käfige – und schließlich Yto Barrada, die derzeit in der Deutschen Guggenheim in Berlin zu sehen ist. Für ihre rührende Videoarbeit holt sie einen rührenden Zauberer vor die Kamera.

Ahmed Mater, geboren 1979 in Saudi-Arabien, stanzt seinen großflächigen „Cowboy Code“ aus Spielzeugpatronen heraus. Jananne Al-Ani, 1966 im Irak geboren, überblendet in ihrer Videoarbeit „Shadow Sites“ irritierende Luftaufnahmen von Landschaften, Ruinen und Städten ihrer Heimat. Und der Marokkaner Mounir Fatmi, Jahrgang 1970, findet ein einprägsames Bild für den heutigen Stand der Revolution: 20 Fahnen islamischer Staaten hängen an der Wand, die tunesische und die ägyptische sind auf Besenstiele gezogen – Joseph Beuys lässt grüßen. Dort ist der Stall ausgekehrt. Man hat seine Hausaufgaben gemacht.

Das hätte auch der Ausstellung selbst gut angestanden. Doch sie gleicht eher einem schicken Messestand, der die vielzitierte Zukunft des Versprechens zuerst in der Einspeisung der Kunst in den Markt sucht. Der Jasmin hängt eben schwer in Venedigs Luft.

Biennale di Venezia, bis 27. November

Max Glauner

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