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Kultur: Flaneure der Blitzlicht-Bohéme

Brüste sind nicht abendfüllend. Die beiden Herren übersehen die Pracht in ihrer Mitte oder ignorieren sie beflissen.

Brüste sind nicht abendfüllend. Die beiden Herren übersehen die Pracht in ihrer Mitte oder ignorieren sie beflissen. Nur die Fotografin hält sie fest. Schon ist sie vorüber und knipst eine andere Szene. David Bowie und Julian Schnabel albern mit Damian Hirst herum und inhalieren tief. Roy Lichtenstein und Robert Rauschenberg sind etwas angesäuselt und machen Faxen. Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat schauen unbeteiligt in die Menge. Alle sind gewohnt, fotografiert zu werden. An diesen Abenden geben sie sich, sobald die Kamera auftaucht, wie Schuljungen beim Klassenfest. Und die Fotografin Roxanne Lowit, die sich der Party-Gesellschaft der achtziger und neunziger Jahre in Manhattan und Paris widmete, nimmt jeden, wie er sich gibt: Hauptsache prominent.

Zwar werden an manchen Abenden Feste nur mit schlechtem Gewissen gefeiert. Feste "by invitation only", wie die von Niels Kummer kurarierte Foto-Ausstellung heißt, sind aber gewissenlos wie eh und je. Die Gäste wähnen sich unter sich und gehen mit Fotografen ein heimliches Bündnis ein. Alle tragen schwarze Tracht. Keiner neidet dem anderen seinen Drogenkonsum. Man lernt niemanden kennen, weil man alle beiläufig kennt. Die Gesichter werden alberne Fratzen und eignen sich nicht für den langen Blick. Vergnügen duldet weder Aufschub noch Dauer.

Lowit ist immer mittendrin. Nur manchmal, hier und da, gelingen ihr Aufnahmen - oder war es jemand anders? - für die Ewigkeit. Coco Chanel auf einer Liege, etwas abseits Pablo Picasso aufmerksam im Dunkeln, frontal Robert Mapplethorpe mit verwegenem Gegenblick und Julian Schnabel mit Mafioso-Miene. In dieser Ahnengalerie der Kunstprominenz gesellen sich still die Toten zu den Lebenden. Ansonsten gilt das Prinzip von Schnitzlers "Reigen": Von einem zum anderen und nicht lang verweilen. Die beiden Herren auf dem Bild wissen davon. Sie haben den Voyeursblick bemerkt, der sie zu Kumpanen einer verruchten Geste macht. Der Abend ist nicht zu Ende. Bald beginnt die Nacht. Aber der Tag wird nicht anbrechen, der diesen Blitzlichtgestalten einer pompösen Bohéme die Unschuld wiedergibt.

Peter Herbstreuth

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