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Kultur: Fleiß ist des Glückes Vater

Nationaler Jubel ist uns Deutschen fremd geworden.Selbst der Tag der Wiedervereinigung 1989 wurde fast eher als event denn als historische Wendemarke erlebt.

Nationaler Jubel ist uns Deutschen fremd geworden.Selbst der Tag der Wiedervereinigung 1989 wurde fast eher als event denn als historische Wendemarke erlebt.Gewiß, die (bundes)deutsche Nüchternheit verdankt sich nicht so sehr der Klugheit, sondern bitter erworbener Einsicht.Da wird dann vor lauter Alltagsgeschehen beinahe verdrängt, daß es auch hierzulande berechtigten Anlaß zum runden Erinnern geben kann, ja mehr noch: zum Stolz.Fünfzig Jahre Bundesrepublik stehen an; zu feiern - wenn denn ein konkretes Datum gesucht wird - am morgigen Sonntag, da sich die Verkündigung des Grundgesetzes zum fünfzigsten Male jährt.Doch so wenig selbstverständlich scheint das Feiern, daß die zum Jubiläum entworfene Ausstellung erst vor zwei Jahren beschlossen (und mit 15 Millionen Mark ausgestattet) wurde: wenig Zeit für eine Mammutschau, die sich von morgen an unter dem Titel "Einigkeit und Recht und Freiheit.Wege der Deutschen 1949 - 1999" im runderneuerten Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert - und zur allgemeinen Verblüffung einen Katalog schuldig bleibt.

Selten bei Ausstellungen gibt es ein kundigeres Publikum als hier, wo jeder Experte ist: als Kenner, als Betroffener, alshistorischer Zeuge dessen, was in der Ausstellung verhandelt wird.Allein schon darum haben sich die Verantwortlichen im Titel mit dem vorsichtigen Begriff der "Wege" gegen die Kritik gewappnet, die unweigerlich kommen wird, gegen die Auswahl einzelner der insgesamt rund 6 000 (!) Objekte, gegen die Einteilung der Kapitel, und nicht zuletzt gegen die hier getroffene Beantwortung der alles überwölbenden Fragen, wie es um das Verhältnis der beiden Deutschlands bis 1989/90 bestellt war und wie um die Lebenswelten, in die sich die Deutschen hüben und drüben einrichteten.

Mit diesen Fragen haben sich zwei der drei ausrichtenden Institutionen, das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin und das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn, zuvor bereits intensiv auseinandersetzen können (als weitere Einrichtung ist die Bonner Bundeskunsthalle mit von der Partie).Erneut geht es im Gropius-Bau um das Erzählen einer Geschichte, die zunächst deutsch-deutsch parallel ablief - viel synchroner, als die Beteiligten während vierzig Jahren glauben wollten -, aber mitnichten deckungsgleich; und am allerwenigsten dort, wo der Einzelne Zeit und Dauer erlebt: im privaten Alltag.Dann kam der historische "Urknall" von 1989, als solcher eindrucksvoll, wenn auch allzu effekthaschend im Lichthof des Gropius-Baus inszeniert, der noch für jede große Ausstellung die zentrale Herausforderung bildete.Und darauf folgt nun auch schon wieder ein Jahrzehnt gemeinsamer Staatlichkeit, unter deren Mantel sich kaum geringere lebensweltliche Divergenzen auftun als zuvor.Was also an Thesen aufstellen und mit Objekten unterfüttern, wo von Sieg und Niederlage, von Gewinnern und Verlierern der Geschichte nicht gesprochen wird?

Es ist dies das unlösbare Kernproblem einer jeden bundesdeutschen Rückschau.Tatsächlich gibt es Sieg und Niederlage.Doch aus dem Zwang zur Stellungnahme fliehen die Organisatoren durch die Fülle der Dinge, und zumal bei dieser Ausstellung im Vertrauen auf die Aura des Authentischen.Aber Arrangements wie zwei Feldbetten aus dem Bonner Regierungsbunker oder die Turnschuhe Joschka Fischers sprechen nicht - sie plaudern nur.Die Ausstellungsmacher unter Leitung von Rainer Rother vom DHM haben sich für ein "essayistisches Prinzip" entschieden, einerseits auf die Fülle meist treffsicher gewählter Objekte bezogen, andererseits durch die mitunter heftig konkurrierenden Einfälle von nicht weniger als acht Ausstellungsdesignern zu einer "historischen Revue" arrangiert.

Da bleibt unterm Strich Unentschiedenheit spürbar.Um alle Facetten auszuleuchten, wird der Rundgang durch die beiden Etagen mit ihren über 5000 Quadratmetern Fläche thematisch zweigeteilt: in die politische Ereignisgeschichte im unteren sowie ein Potpourri aus Wirtschafts-, Technik- und Sozialgeschichte im oberen Geschoß.Optisch, weniger inhaltlich verbindend wirkt der große Lichthof, der diesmal fast zur Gänze mit einer Installation (von Hans Dieter Schaal) gefüllt ist.Sie illustriert die Zäsur des Mauerfalls mit einer Flut elektronischer Medien (und einer Kakophonie von Geräuschen).Als "Baustelle Deutschland" deklariert, zeigt das Arrangement die Mühen des Aufbaus, spart aber aus, was aus diesem Ereignis der unverhofften Wiedervereinigung zweier weit auseinandergedrifteter und doch untergründig engverbundener Gesellschaften an Fragestellungen in die bundesdeutsche Gegenwart hineinragt.

Es wird nicht recht deutlich, wie es zu jenem 9.November 1989 kommen konnte.Der politgeschichtliche Parcours stellt die deutsche Geschichte (sinnvollerweise) bis 1949 synchron dar; mit der doppelten Staatsgründung aber wird die DDR-Geschichte "ausgeklammert".Das ist methodisch vertretbar, stellt aber Anforderungen an die inhaltliche Verklammerung, die eine derart auf Inszenierung einzelner Räume ausgerichtete Ausstellung kaum erfüllen kann.So bildet der wichtige Raum 15 "Grenzfragen.Wo Deutschland liegt" zwar ein hübsches Bühnenbild, doch wollen die - zugegeben mit Objekten kaum zu visualisierenden - Fragen der Differenz von Nation, Staatsgebiet, "Geltungsbereich" und dergleichen mehr in Arrangements von Grenzabfertigungsstempeln nicht aufgehen.Zudem ist das thematisch zugehörige Kapitel der DDR-Abschottung an anderer Stelle des Rundgangs zu suchen, das hochinteressante Kapitel "Muttersprache - Vaterländer" gar im anderen Stockwerk.

Deutlich allerdings wird, daß das verbindende Element der beiden deutschen Gesellschaften der Konsumdrang ihrer Bürger war.Das SED-Plakat mit dem Spruch "Fleiß ist des Glückes Vater" und der Losung "Ich leiste was /Ich leiste mir was" ist die Quintessenz deutschen Strebens nach 1945.Das auch als Plakat verwendete Foto von Werbetafeln mit dem Motto "Alle sollen besser leben" läßt nicht erkennen, ob es im Osten oder im Westen aufgenommen wurde (es stammt aus Düsseldorf 1952): Besser leben wollen, wurde zur Restgröße an nationaler Zielsetzung.Eine um diese deutsch-deutsche Grundmelodie herum gestaltete Ausstellung wäre womöglich pointierter ausgefallen als das Kaleidoskop im Gropius-Bau.

Die Doppelung der beiden Rundgänge ist der Kardinalfehler der Ausstellung - gut gedacht, um die Aufmerksamkeit des Besuchers nicht bereits mit den ersten Jahren der Geschichts-Erzählung zu ermüden, aber schlecht im Ergebnis, weil sich das Obergeschoß nun wie das Bilderbuch eines Gesellschaftskundeunterrichts ausnimmt.Mag sein, daß nachlassende Aufmerksamkeit nach dem unteren Rundgang mit seinen achtzehn Räumen zu diesem Eindruck beiträgt.Auf jeden Fall sei dringend angeraten, mindestens einen zweiten Besuch einzuplanen.

Die Ausstellungsgestalter haben eine Fülle von Augenblicksbildern in Gestalt von Objekt-Arrangements gefunden.Bilder sind Konstrukte, sind bewußte Interpretationen.Sie entsprechen dem, was im Bewußtsein geschieht, das sein je eigenes Bild von der Geschichte verfertigt; und um so stärker, je mehr davon in die eigene Erlebniswelt hineinragt.Die Anknüpfung an solche individuelle Verarbeitung suchen die zahllosen Fundstücke des Alltagslebens; all diese Weißt-du-noch-Dinge, die sich prägend ins kollektive Gedächtnis eingesenkt haben.Am leichtesten springt dieser Funke im Kapitel "Land unter Einfluß" über.Es zeigt von der Ami-Zigarette bis zur Haute couture, was einer zutiefst verstörten Gesellschaft als stilbildend willkommen war.Desselbe gilt für das detailverliebte Nachstellen der DDR-Alltagswelt, die ähnlich wohlige Schauer des Es-war-einmal heraufbeschwören dürfte.Damit ist die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht ausgeschöpft.Doch nach dem Woher und Wohin der Nation zu fragen, haben wir Deutschen uns gründlich verboten, und so bleibt die Ausstellung, was sie sein will: ein Potpourri von Facetten, von Kapiteln, gelungenen und weniger gelungenen; aber kein Thesenbündel, das die Nachkriegsgeschichte zu deuten wüßte.Ein prägendes Bild der deutschen Nachkriegsgeschichte, immerhin eines historischen Glücksfalles, liefert die Ausstellung nicht.Aber auch darin spiegelt sie den Gemütszustand des bundesdeutschen Gemeinwesens.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 23.Mai bis 3.Oktober.Pfingstmontag geöffnet, ansonsten Dienstag bis Sonntag, jeweils 10 - 20 Uhr, Eintritt frei.Kein Katalog, Begleitbuch im Rowohlt Verlag, 10 DM.

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