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Kultur: „Flick ist ein Porträt unserer Zeit“

Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen, über die Kollision von Kunst und deutscher Geschichte

Die Debatte um die Sammlung moderner Kunst von Friedrich Christian Flick, die ab 22. September in den Berliner RieckHallen zu sehen sein wird, hat durch den Offenen Brief von Flicks Schwester Dagmar Ottmann an Schärfe gewonnen. Ottmann wendet sich gegen das Ausstellungsvorhaben; sie wirft ihrem Bruder vor, sich nicht ausreichend mit der eigenen Familiengeschichte auseinander gesetzt zu haben und kritisiert einen „Zickzackkurs der Preußen-Stiftung im Umgang mit der Flick-Geschichte“. Die Stiftung wollte diesen Brief nicht kommentieren. Warum nicht?

Der Brief ist eine Angelegenheit der Familie Flick. Und einen Zickzackkurs der Stiftung kann ich nicht sehen. Ich möchte noch einmal an die Genese des ganzen Projekts erinnern. Es sollte in Zürich zunächst ein Sammlermuseum geben, gegen das sich heftige Proteste vor allem der Schauspielszene rund um Christoph Marthaler richteten. Marthaler wollte nicht, dass in der Nachbarschaft zu seinem Theater ein Privatmuseum entsteht, das Anlass zur Empörung gibt. Das haben wir erst einmal registriert. Überlegungen, diese außergewöhnliche Sammlung zeitgenössischer Kunst nach Berlin zu holen, kamen aus dem Kreis der Freunde der Nationalgalerie. Der erste direkte Kontakt zu dem Sammler wurde jedoch durch die Politik gestiftet. Es war Klaus Wowereit, der mit einem Dossier auf die Stiftung zutrat und die Frage stellte: Ist das eine Sammlung, die für Berlin von Interesse ist? Da hieran auf Grund der künstlerischen Qualität der Sammlung kein Zweifel bestehen konnte, stellte sich für die Nationalgalerie eher die Frage, wo könnten wir eine so umfangreiche Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Lösung ergab sich aus dem glücklichen Umstand, dass es neben dem Hamburger Bahnhof mit den Beständen der Nationalgalerie und den Sammlungen Marx und Marzona die Rieck-Halle gibt, die plötzlich entmietet wurde und seitdem völlig leer steht. Dort wird die Nationalgalerie die Sammlung von Friedrich Christian Flick unter kuratorischer Verantwortung der Nationalgalerie für sieben Jahre zeigen können. Die Kosten für den dazu notwendigen Umbau trägt Friedrich Christian Flick.

Daraus ergibt sich eine spektakuläre Zusammenschau heutiger Kunst. Aber haben Sie sich über den kunsthistorischen Aspekt hinaus genug auf den zeithistorischen Hintergrund der Sammlung eingelassen?

Der entscheidende Unterschied zu Zürich ist doch, dass es hier nicht mehr die Omnipotenz eines Sammlers ist, der sich mit einem eigenen Gebäude verewigt, sondern er gibt sich in die Obhut, Pflicht und den Kontext einer öffentlichen Museumsinstitution. Natürlich mussten wir uns fragen: Wollen wir das? Und was handeln wir uns damit an Problemen ein? Es geht ja um eine der größten Sammlungen zeitgenössischer Kunst, die völlig unveröffentlicht ist. Auch Flick selbst hat seine Sammlung als Ganzes noch nie wirklich gesehen. Und er hat entschieden: Ich möchte meine Sammlung mit der Öffentlichkeit teilen.

Keiner stellt die künstlerische Qualität der Sammlung in Frage. Und doch bereiten Sie eine Bühne für etwas, was zeitgeschichtlich und moralisch Brisanz hat. Salomon Korn als Hauptkritiker und nun auch Dagmar Ottmann beharren darauf, dass es die Verstrickung mit dem Flick-Erbe gibt – nicht als persönliche Schuld, aber als materiellen Zusammenhang. Nun hat der „Stern“ bekannt gemacht, dass nicht nur Dagmar Ottmann, sondern auch ihr Bruder Gert-Rudolf Flick in den Zwangsarbeiterfonds eingezahlt hat. Friedrich Christian Flick hatte das nicht getan.

Der Kern der Diskussion liegt doch genau darin, dass Herr Flick sich geweigert hat, als Privatmann in den Zwangsarbeiterfonds einzuzahlen. Darum ging es in Zürich. Herr Flick hat uns ausführlich erläutert, warum er das nicht getan hat, und dass er stattdessen die Potsdamer Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz gegründet hat – auch als Folge des Scheiterns in Zürich. Die Beteiligten lernen durchaus im Verlauf der Diskussion. Das war eine für uns überzeugende Geste moralischer Verantwortung.

Das sehen manche anders. Es gab Stimmen in der Diskussion, die gesagt haben: Das kommt sehr spät und verblasst hinter dem pompösen Auftritt der Sammlung.

Man sollte festhalten, dass es in Berlin und über Berlin hinaus außer allgemeiner Zustimmung keine große öffentliche Diskussion gab. Es hat dann wenige sehr scharfe Stimmen gegeben, relativ spät, die eine große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden haben. Das scheint in Zürich anders gewesen zu sein. Wir haben uns nach Zürich deshalb im Hinblick auf mögliche Kritik im Vorfeld durch Rückfragen bei unseren politischen Gremien, bei unseren Sammlern und Förderern vielfältig ihrer Zustimmung versichert. Friedrich Christian Flick hatte mit Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden gesprochen und gefragt: Wären Sie dagegen? Für die Staatlichen Museen war Heinz Berggruen die entscheidende moralische Instanz. Als von beiden Seiten Zustimmung kam, haben wir gesagt: Jetzt können wir die Sammlung in Berlin zeigen. Mit den Offenen Briefen von Michael Fürst und Salomon Korn hat die Diskussion eine andere Wendung genommen.

Das heißt, die Frage des „Blutgelds“, wie es Korn nennt, hat sich niemand bei Ihnen gestellt? Immerhin wurde die Kunstsammlung mit einem Vermögen erworben, dessen Grundstock auch auf den NS-Geschäften des in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilten Großvaters Friedrich Flick beruht.

Das ganze Flick-Imperium und sein Wiedererstehen war ein Teil unseres Wirtschaftswunders und ist ein Faktum der gesamten Wirtschaftsgeschichte dieser Bundesrepublik. Man darf fragen, wo wollen Sie da anfangen und wo aufhören? Gerade angesichts solcher Fragen halte ich es für einen entschiedenen Gewinn, dass eben durch die Diskussion über die Sammlung auch dieser nicht hinreichend beleuchtete Teil der Nachkriegsgeschichte neu und kritisch betrachtet wird. Der Name Flick ist ein Symbol für vieles, was unsere Geschichte ausmacht.

Dies alles an einer Kunstausstellung festzumachen, ist das nicht auch ein Stück Überforderung einer Kulturinstitution?

Ich sehe es im Gegenteil als Chance. Natürlich halten wir uns als Kunstinstitut sehr zurück, was das historische Thema angeht. Wir sind nicht die Bundeszentrale für politische Bildung. Und wir glauben nicht, dass es einer Art Reinigungsschleuse bedarf, wo vor der Ausstellung die Familiengeschichte dokumentiert wird. Wir haben uns stattdessen entschlossen, jedem Besucher mit dem Erwerb des Tickets eine Zeitung in die Hand zu geben, in der Friedrich Christian Flick sich einem sehr ausführlichen Gespräch mit dem Ausstellungskurator Eugen Blume stellt. Dieses Gespräch ist vorbehaltlos, offen und schonungslos nachfragend. Es wird zudem in dieser Zeitung für jeden Besucher eine Dokumentation geben, in der auch die Briefe von Fürst, Korn und Ottmann enthalten sind. Und wir werden zur Eröffnung ein Symposium zum Thema „Die Macht der Sammler und die Verantwortung“ veranstalten, auf dem auch Fragen der Abhängigkeit der Museen diskutiert werden. Es wird ferner in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung Veranstaltungen zum Problem der unzureichenden Entnazifizierung geben wie auch zur gesellschaftspolitischen Dimension der zeitgenössischen Kunst und ihrer Themen wie Gewalt, Sex, Heimat, Freizeit etc .

Dagmar Ottmann hat die Universität Bochum mit dem Auftrag, die Geschichte der Friedrich Flick KG im 20. Jahrhundert zu erforschen, betraut. Dennoch ist nun auch von Seiten der Staatlichen Museen ein Forschungsauftrag an das Münchner Institut für Zeitgeschichte ergangen. Sollte man das nicht kombinieren?

Der Auftrag wurde vom Stiftungspräsidenten Klaus Dieter Lehmann an das Münchner Institut für Zeitgeschichte vergeben. Die Mittel für diesen Auftrag stellt Friedrich Christian Flick zur Verfügung. Und dieser Forschungsauftrag soll sich, anders als der von Dagmar Ottmann, mit der Flickschen Familiengeschichte beschäftigen. Ob die beiden Forschungsinstitute kooperieren, kann ich nicht vorhersagen. Die Geschwister werden mit Sicherheit auch darüber miteinander reden müssen.

Was aber machen Sie, wenn es ähnlich wie in Frankfurt bei der gescheiterten Uraufführung von Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ bei der Ausstellungseröffnung zu einer Demonstration auch von ehemaligen NS-Opfern kommt?

Das Museum ist nicht der Ort, etwas zu verbieten, solange nicht die Kunstwerke selbst attackiert werden. Wir haben für solche Fälle keinen konkreten Plan. Im Übrigen: die Sammlung, die Friedrich Christian Flick in mehr als einem Jahrzehnt zusammengetragen hat, ist ein Porträt unserer Zeit, und auch der Sammler ist ein Porträt unserer Zeit. Das werden diese Ausstellungen in den nächsten sieben Jahren hier in Berlin – und gerade hier in Berlin – zeigen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Das Gespräch führten Peter von Becker und Christina Tilmann

PETER-KLAUS SCHUSTER , 60,

ist seit 1999

Generaldirektor der

– zur Stiftung

Preußischer Kultur-

besitz gehörenden –

Staatlichen Museen zu Berlin.

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