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Kultur: Flieg, Gedanke

Eine Sternstunde mit Barenboim und Bronfman.

Überzeugender als am Montag in der Philharmonie lässt sich eine Live-Darbietung von Tschaikowskys 1. Klavierkonzert kaum vorstellen. Yefim Bronfman ist ein idealer Interpret, weil er nicht nur die Pranken-Power für die virtuosen Passagen hat, sondern blitzschnell die Wucht aus seinem Spiel herausnehmen kann. Ganz leicht ist sein Anschlag dann, von gläserner Klarheit. Sensibel vollzieht er die emotionalen Wechselbäder dieser Musik nach, die sich zutiefst romantisch entfaltet, in freier, rhapsodischer Klangrede – als würde der Solist coram publico alle Abgründe seiner Seele ausleuchten. Es sind Daniel Barenboim und die Staatskapelle, die Yefim Bronfman diesen Gedankenflug ermöglichen. Weil sie in jeder Sekunde ganz bei ihm sind, auf seinem Atem mitatmen, ohne ihn als Kollektiv zu sehr zu umarmen oder gar einzuengen. Absolute Präzision fordert Barenboim seinen Musikern ab, oft sind es winzige Details, ein sekundenkurzes Crescendo, ein scharfer Akzent, dann wieder will er die große Linie, den weiten atmosphärischen Bogen, der sich über den Pianopart spannt. So packend, so zwingend gerät diese Aufführung, dass der Rezensent glatt vergisst, sich Notizen zu machen, und das elektrisiert lauschende Publikum nach dem Schlussakkord mit dem Jubel geradezu herausplatzt.

Warum Edward Elgars Es-Dur-Sinfonie anschließend viel weniger Eindruck hinterlässt? Eben weil sie jede Menge Effekt macht. Brillant spielen die Staatskapellenmusiker, Barenboim – der übrigens, wie am Dienstag bekannt wurde, sein Amt als Musikdirektor der Mailänder Scala bereits 2014 abgeben wird, als zwei Jahre früher als geplant – dirigiert auswendig, wirbt mit suggestiver Gestik für die Rarität, setzt unendlich viel Energie frei. Trotzdem wird klar, warum die Londoner 1911 bei der Uraufführung so kühl blieben. Die kompakte, von den Streichern dominierte Instrumentation wirkt auf die Dauer monochrom, die Musik scheint oft in sich selber zu kreisen. Erst der ins Pianissimo verhallende Schluss wird zum Verständnisschlüssel für das Werk: als Abgesang auf die in Tradition erstarrte britische Society. Frederik Hanssen

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