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Kultur: Fliegende Gärten

Mit Grüntuch & Ernst gestalten zum vierten Mal Berliner Architekten den Venedig-Pavillon. Woran liegt’s?

Architekten bauen Häuser. Viele Häuser ergeben eine Stadt. Trotzdem wird die Stadt erst allmählich wieder zum zentralen Thema des internationalen Architekturgeschehens. Vorbei die Zeit, da auch in Deutschland Architekten von der grünen Wiese träumten, auf die sie ihre Wunderbauten pflanzten. Die Zunft beginnt die Stadt als einen Organismus zu begreifen, an dem sich ökonomische Interessen ballen und Einwohner schwinden. Ständig muss das, was da ist, also die Häuser und die Infrastruktur, die sie verbindet, umorganisiert werden.

Nicht immer sind die urbanen Aufgaben dabei so gewaltig wie in Berlin, wo gleich ein ganzes Stadtzentrum aus dem Boden gestampft wurde oder wie in Hamburg, wo die Umnutzung einstiger Hafenareale zur Hafencity voranschreitet. Vielfach sind es eher die kleinen Eingriffe und Lückenschließungen, die Städte „besser“ machen. Zu den interessantesten Gestaltern dieses Umwandlungsprozess zählen die beiden Berliner Architekten Almut Ernst und Armand Grüntuch. Unter dem Titel „Convertible City“ stellen sie auf der diesjährigen Architektur Biennale in Venedig (10. September bis 19. November ) Bauten und Projekte aus Deutschland vor, mit denen neue Perspektiven für Innenstädte entwickelt werden.

Zum vierten Mal in Folge wird der deutsche Pavillon in Venedig von Berlin aus bespielt. Warum nur? Was ist hier los, dass Berliner Baudenker wie Hans Stimmann, dessen Berliner Schwarzpläne 2003 ausgestellt wurden, wie Hilde Léons und Francesca Ferguson („Deutschlandschaften“) immer wieder zu den Vorreitern einer frischen und international konkurrenzfähigen Architektur zählen?

Für die Biennale haben Grüntuch und Ernst 36 Arbeiten ausgewählt, darunter keine einzige von ihnen selbst. So gönnt einem allein die Galerie Aedes West unter dem Titel „Urban Upgrade“ einen Eindruck vom architektonischen Profil der beiden Generalkommissare Kuratoren. Deren Versuche zur Aufwertung städtischer Räume sind – bisher – vor allem in Deutschland angesiedelt. In Berlin sind die beiden Architekten längst keine Unbekannten mehr. Mit ihren Bauten rund um den Hackeschen Markt haben sie anschaulich bewiesen, dass Stadtreparaturen im historischen Umfeld keineswegs im verniedlichenden Retro-Schick daherkommen müssen. Mit einer klaren Architektursprache und viel Glas fügen sich ihre Ideen in die Umgebung und bieten zugleich Lösungsansätze für das neue, innerstädtische Wohnen. Wer in der City lebt, will deshalb nicht auf Garten und Kinderspielplatz verzichten. Die Antwort sind Bürgerhäuser, die das Grüne nach oben verlegen, auf Dachterrassen.

In der Ausstellung zeigen Grüntuch und Ernst neben zwei Schulen in Berlin und Dallgow-Döberitz vor allem solche Arbeiten, bei denen es um ihr venezianisches Thema geht: das Auffüllen von Baulücken und die Umnutzung vorhandener Bauten. Da sind ein Bahnhof in Chemnitz und ein Hotelneubau an der Flensburger Förde, dessen Formen sich in die Speicherlandschaft des Hafens einpassen. Dass es dem Architektenpaar auch darum geht, den weniger charmanten Bauten der sechziger und siebziger Jahre neue Qualitäten zu entlocken, beweisen sie in Bremen. Dort bauen sie in der Innenstadt an einem Kaufhaus weiter und verleihen ihm einen großen grünen Lichthof, der durch seine gläserne Fassade in die Stadt hineinwirkt. Die Renaissance der Städte ist in vollem Gang. Und sie geht mit einem Paradigmenwechsel einher. Weg vom Abriss hin zur Umnutzung. Denn den Luxus, vorhandene Gebäude „rückzubauen“, statt ihre Lebensdauer durch Umnutzung und Umbau zu verlängern, kann sich eine Stadt nicht mehr leisten.

Aedes West, bis 27. Juli, Else-Ury-Bogen 600 am Savignyplatz, Katalog: 10 €

Jürgen Tietz

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