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Kultur: Fliegendes Eisbein

Thomas Raschke formt den Alltag aus Draht nach und zeigt bei Sakamoto Contemporary ganze Zimmer

Den Röntgenblick müsste man haben. Eine Welt ohne Wände und Oberflächen, an denen sich der Blick bricht, nein, in Wahrheit wäre es reiner Horror. Die schönen Raumzeichnungen von Thomas Raschke bei Sakamoto Contemporary sind sozusagen des Schrecklichen Anfang. Denn sie deuten an: Wer den Durchblick hat, sieht irgendwann überhaupt nichts mehr.

Vor knapp 15 Jahren begann Raschke, Alltagsgegenstände im Stil von frühen 3-D-Computeranimationen nachzubilden. Bohr- oder Kaffeemaschinen kamen als Liniengitter aufs Papier. Zweifellos stammen die Blätter von einem, der auch privat gerne Gehäuse abschraubt, um den (kaputten) Dingen auf den Grund zu gehen. Inzwischen „zeichnet“ Raschke die Gegenstände des täglichen Gebrauchs auch in den Raum hinein: Vom Schnellkochtopf bis zur Werkbank mit Schraubstock baut er, was sich in Haushalt und Hobbykeller findet, mit drei Millimeter dickem, verlötetem Eisendraht nach. Zeichnung wird Skulptur. Eine folgenreiche Angelegenheit, denn Raschkes Drang zum Detail ist nicht zu bremsen. Während Papierskizzen ja oft vom Weglassen leben, füllt Raschke seine „Skizzen aus Draht“ mit Innenleben. Mit eisernem Willen zur Rekonstruktion, bis auf den kleinsten Treibriemen. Jeden Moment, so scheint es, setzen sich die Maschinenskelette in Bewegung.

Auch der „Kühlschrank“ (2001) bleibt nicht leer. Bei Raschke liegt die luftige Butterdose drin, dahinter schwebt das Kühlaggregat. Ungewohnte Perspektiven, verwirrend viele. Maximal filigran ist die komplette Küchenzeile, mit Waschmaschine, Dunsthaube und Gasherd. Im drahtenen Topf köchelt das Eisbein.

Heutige Künstler sind permanent gezwungen, das Rad neu zu erfinden. Zum Innovationsdruck kommt die Dichte im global vernetzten Betrieb. So kann es passieren, dass man Raschkes Skulpturen mit dem Drahtmobiliar von Fritz Panzer verwechselt. Dessen ebenfalls lebensgroße „Prenninger Küche“ war auf der Sonderausstellung „House Trip“ des letzten Art Forums zu sehen. Nur: Panzer lässt die Innereien weg, geht eher als Luftzeichner denn als Feinmechaniker ins Ziel. Raschke verdichtet. Zu seinen stärksten Stücken denn auch der „Industriestaubsauger“ (2001), dessen Liniengeflecht nach innen immer dichter wird: Ein Wirbelsturm, der sich gleichsam selbst verschluckt.

Zurzeit arbeitet der Künstler an der Nachschöpfung eines kompletten Musikstudios. „Die Band“ soll 2009 bei Sakamoto präsentiert werden. Allmählich geht der Gerätepark zur Neige – Raschke will sich nicht wiederholen, beharrt auf Unikaten. Hinter einer Trennwand werden Skulpturen aus Werkstoffen wie Wellpappe und Styropor präsentiert. Der elaborierte Spiel- und Basteltrieb bleibt ungebrochen, auch wenn das Ende des Eisendrahts irgendwann erreicht ist. hin

Sakamoto Contemporary, Oranienstr. 164, Mo/ Mi 11-13 u. 14-18 Uhr, Do/Fr 12-20 Uhr, Finissage: 1. März von 18-22 Uhr.

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