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Florence Welch, geboren 1986 in London, gründete 2007 die Band Florence + The Machine.

© Vincent Haycock

Florence Welch: "Das Drama war mein Versteck"

Florence Welch, Sängerin von Florence + The Machine, spricht im Interview über Herzschmerz, Alkoholsucht und ihr neues Album „High As Hope“.

Mrs. Welch, wie ist das für Sie, wenn Sie auf der Bühne eines Festivals stehen und im Publikum zahlreiche Mädchen erspähen, die so aussehen wie Sie?

Das ist so süß. Ich liebe es! Da kommt das Mütterliche in mir durch. Ich möchte sie am liebsten alle umarmen, beschützen und sicherstellen, dass sie unversehrt wieder nach Hause kommen.

Sie fühlen sich verantwortlich?

Irgendwie schon. Auf jeden Fall fühle ich mich mit den jungen Frauen, die mir folgen, eng verbunden. Als Teenager war ich so verloren. Ich kenne die Situation in ihrem Alter nur zu gut.

Wie waren Sie denn als Heranwachsende?

Auf viele machte ich einen recht sonderbaren Eindruck – und so falsch lagen sie damit nicht. Ich sang gedankenverloren permanent vor mich hin und wurde dafür oft von den Lehrern ermahnt. Anders als meine Mitschüler hing ich ständig in Bücherhallen rum. Ich war introvertiert, Bücher wurden zu meinem Zufluchtsort.

Das Lied „South London Forever“ legt die Vermutung nahe, dass irgendwann dann doch die Rebellin bei Ihnen durchkam.

Oh ja. Ich hörte Bands wie die Libertines, trank zu viel und hing mit einer Gang von Leuten auf den Straßen im Süden Londons ab. Ich verlor zusehends die Kontrolle. Da kam mir die Musik gerade recht. Ich ging auf jede Party. Als wir mit Florence + The Machine den Durchbruch schafften, herrschte bei mir Chaos. Meine Seele fing an, an meinem selbstzerstörerischen Lebensstil Schaden zu nehmen. Vor drei Jahren musste ich auf die Bremse treten und dem ein Ende bereiten. Dies ist die erste Platte, die ich gänzlich nüchtern geschrieben und aufgenommen habe.

Und Sie haben seit drei Jahren keinen Alkohol mehr angerührt?

So ist es. Als wir 2015 beim Glastonbury- Festival als Headliner für die Foo Fighters einsprangen, war ich danach so überwältigt und versucht, mir einen Drink zu genehmigen, aber meine Bandkollegen hielten mich davon ab. Auch als die Konzerte zum letzten Album abgeschlossen waren, hatte ich die Befürchtung, dass ich wie sonst erst mal auf Pub-Tour in London gehen würde. Aber stattdessen bin ich lieber direkt ins Studio, um an der neuen Platte zu arbeiten.

Was war anders?

Ich war viel aufgeräumter. Früher haben die Leute einiges mit mir durchmachen müssen: Manchmal kam ich gar nicht ins Studio oder aber mit einem totalen Kater. Ich dachte, das müsste so sein, um kreativ sein zu können. Aber das ist Quatsch. Diese Platte schrieb sich quasi von selbst. Ich habe den Spaß am Musikmachen wiedergefunden. Und ich bin meinem Kern und der Frage, wer ich eigentlich bin, viel näher gekommen. Dazu gehörte auch, mein Innerstes aufzudecken und meine Verletzlichkeit zu offenbaren. Ich muss nichts mehr verstecken.

Gehört das zum Älterwerden?

Ganz sicher sogar. Ich bin ruhiger geworden. Ich merke, dass ich mich nach Normalität sehne. Eine Struktur zu haben ist wichtig. Zeit für mich und meine Bücher zu haben, ist mir heilig. Das alles versuche ich, trotz des verrückten Lebens, das ich führe, zu schützen. Ich habe gelernt, auf mich aufzupassen.

Mit Ihrem letzten Album „How Big, How Blue, How Beautiful“ haben Sie sich den Liebeskummer von der Seele geschrieben.

Diesmal gab es keine Dramen in meinem Leben! Aber „Big God“ ist quasi eine Erinnerung an die beschissene Zeit damals – allerdings aus geheilter Perspektive und mit dem nötigen Abstand. Das Lied handelt von jemandem, der nicht mehr auf meine Nachrichten reagiert. Er verschwindet einfach. Das Phänomen nennt man Ghosting. Es geht auch um die Erkenntnis, dass jemand, der einfach verschwindet und dich schlecht behandelt, plötzlich eine besondere, anziehende Aura für dich bekommt – geradezu gottgleich. Warum ist das so? Ich dachte immer, wenn ich mit der Person zusammen sein könnte, würde das alle meine Probleme beseitigen. Heute weiß ich, dass nur ich selbst mein Leben in Ordnung bringen kann.

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Ist der Song „Hunger“ ein Schrei nach Liebe?

Schon. Es ist dieses Gefühl, nie genug zu sein. Der größere Herzschmerz ist ja eigentlich, sich nicht selber lieben zu können. Als Teenager hatte ich einiges an Selbsthass in mir. Ich war bemüht, das Richtige zu tun, um geliebt zu werden. Ich würde das kleine Mädchen von damals gerne trösten und ihm sagen: Lass mal locker, alles wird gut.

Den Stress, sich bei jedem Album neu zu erfinden, machen Sie sich nicht, oder?

Oh nein, das wäre mir zu anstrengend! Ich kenne das aber ein wenig: Bei den ersten Alben war alles noch unter Schichten von Drama und Kostümen verdeckt. Meine Haare waren hellrot, die Augenbrauen gebleicht. Ich hatte damals die Einstellung: Mein Gesicht ist eine Leinwand. Ich bin nicht menschlich, ich bin ein Gemälde! Beim zweiten Album „Ceremonials“ trug ich schwere Haute-Couture-Bekleidung auf der Bühne. Das war mein Schutz und funktionierte wie eine Rüstung. Ich brauchte das . Aber hinter der Fassade sah es ganz anders aus: Als ich am glamourösesten und unnahbarsten wirkte, war ich in Wirklichkeit ein Wrack – alles schien auseinanderzufallen.

Heute sind Sie auch eine Stilikone.

Schön ist, dass ich immer nur das getragen habe, was sich gut angefühlt hat. Wenn es anderen Leuten gefällt, ist das nett, aber der Plan war nicht, ein Mode-Exempel zu statuieren. Mein Stil hat sich auch nur leicht verändert: Gib mir ein langes Kleid mit Muster, und wenn es dann noch flattert, bin ich glücklich.

Florence + The Machine: „High As Hope“ ist bei Universal erschienen.

Katja Schwemmers

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