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Kultur: Fluss & Bruch

Tomáš Netopil mit den Berliner Philharmonikern

Auf dem Programm steht eine Entdeckung, doch der erste Gedanke ist der eines Verlustes: Eigentlich hatte Sir Charles Mackerras an diesem Abend am Pult der Philharmonie stehen sollen – der große australische Dirigent und unermüdliche Anwalt der Musik Tschechiens. Dieser über 60-jährigen Liebesbeziehung hatte Sir Charles auch sein Konzert mit den Philharmonikern gewidmet: Mit Dvobáks siebter Sinfonie, aber vor allem mit den „Drei Fragmenten“, die Bohuslav Martinu 1939 aus seiner im Jahr zuvor uraufgeführten Oper „Juliette“ zusammengestellt hatte. Im November 2008 hatte Mackerras den kurz zuvor wiederentdeckten Quasi-Querschnitt in Prag uraufgeführt.

Nach dem Tod des 84-Jährigen im Juli dieses Jahres entschieden sich die Philharmoniker, die Rarität dem jungen Tomáš Netopil anzuvertrauen. Beim Chefdirigenten des Prager Nationaltheaters ist Martinu in guten Händen: Die eigentümliche Mischung der Musik aus irisierender harmonischer Farbigkeit, wie gestanzt wirkenden rhythmischen Modulen und kühnen Stilbrüchen macht sofort neugierig auf die ganze Oper. Was allerdings auch am hingebungsvollen Einsatz der Sänger liegt – allen voran an Magdalena Kožená, die die mysteriöse Titelheldin zwischen Traum und Wirklichkeit oszillieren lässt und sie im Schwebezustand zwischen Leidenschaft und Geheimnis zu einer Cousine von Debussys Mélisande macht. Dann, nach der Pause, noch Dvobáks Siebte: Netopil hält das Stück in Fluss, schafft aber weder den emotionalen Überdruck, den romantische Sinfonik braucht, noch baut er Spannungsräume durch Profilierung der Mittelstimmen. Ein routiniert absolvierter Dvobák mit pauschalem Schwung. Ach, was hätte Sir Charles daraus gemacht!Jörg Königsdorf

Wieder, heute, 2.10., 20 Uhr

Jörg Königsdorf

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